Dienstag, 5. August 2014

Das Kleinstadtpanoptikum - Reallife für und/oder vor Publikum

Im Sommer ist man ganz gerne mal draußen und geht seine Wege auf, in meinem Fall, Viernheims Wegen. An einem so O.K.nen Tag wie heute, d.h. kein Regen, nicht zu warm, nicht zu kalt, ab und an mal Sonnenschein, denkt sich auch der oder die ein oder eine oder andere Stadtangehörige :"das Wetter ist ja ganz ok, lass mal Fenster aufmachen um rauszuschauen."
Gesagt getan sitzt die etwas ältere Bereicherung unserer Gesellschaft vorgebeugt auf einem gepolsterten Dreibeinhocker ohne Rückenlehne, dafür mit aufgelegten Kissen auf der Sitzfläche, vor dem offenen Fenster und stützt sich mit den, mittlerweile nicht mehr ganz so ungebrechlichen Ellbogen, auf der Fensterbank ab um sich mit dem weichen Kinn eine bequeme Falte in den Händen zum Kopf-ablegen zu suchen.
Diese sehr statische wirkende Art und Weise vor dem Fenster zu sitzen ist, ich gehe einfach mal davon aus, dass nach langen Jahren des Trainings, des Ausprobierens und der gelegentlichen Besserungsideen die Erfahrung das bestätigt, durchaus sehr komfortabel, bequem und stabil. Um sich in einer solchen Position ein wenig Luxus zu gönnen und um nicht aufstehen zu müssen, wird die Situation durch ein bereitstehendes Glas und eine Flasche Wasser verfeinert. Sollte die ältere Person allerdings aus Ablenkung, temporärer geistiger Verstreutheit oder bloßer Hektik, weil sie verschlafen hat, aber trotzdem pünktlich um 8:30 Uhr vor dem Fenster sitzen wollte, das Kissen für die Ellbogen vergessen haben, so wird sie nach spätestens einer halben Stunde, also spätestens um 9:00 Uhr, von dem Schmerz an eben jenen Ellbogen daran erinnert werden.
Was für eine nette Geste des Schmerzes und von ihren Ellbogen, aber ich bin mal ehrlich : ich würde auch nicht gerne eine gefühlte Ewigkeit auf eine Steinfensterbank gedrückt werden wollen.
Also wird zur Entlastung und Bequemlichkeit der Ellbogen ein Kissen zur Polsterung untergelegt.
Nachdem nun endlich alles dazu bereit ist den lieben langen Tag aus dem Fenster zu schauen, muss der Mensch unter der altersgrauen Oberkopfbehaarung nurnoch knappe eineinhalb Stunden warten, bis auch erste Vorreiter der  jüngeren Einwohnerschaft der Kleinstadt in der Ferien- und Urlaubszeit nach einem unausgewogenem Frühstück, z.b. erkaltete Reste der Tiefkühlpizza oder -lasagne vom Vorabend, den Tag starten und das Haus verlassen. Nun verspricht sich das Blockhausfensterpublikum einen interassenten und mit wechselnden Aktionen belebten Unterhaltungsalltag und die Erfahrung zegt, dass sich diese täglichen Versprechen stets bewahrheiten.
Morgens geht eine junge Frau mit Kinderwagen und einem darin befindlichen Kleinstkind die Straße in Richtung Bäcker rauf. Nach ca. 10 min kommt sie den Weg wieder zurück. Die linke Hand hält ein Handy an ihr Ohr, worüber sie mit ihrer Freundin, die anscheinend Jenny heißt, in einem Atemzug über den getsrigen Partyabend und ungewollte Schwangerschaften redet. In ihrer rechten Hand hält sie eine Zigarette, die im, durch die Sehhilfe, klaren Blick der älteren Person deutlich als eine Zigarette der Marke L&M zu erkennen ist, und eine Tüte von dem Bäcker die Straße rauf. Der aufmerksamen gealterten Stadtangehörigen fällt natürlich sofort auf, dass der Kinderwagen mitsamt Kleinstkind fehlt. Nach ca. weiteren 3 min kommt die junge Frau mit einem gehetzten und verzweifelten Gesichtsausdruck und eiligen Schrittes die Straße wieder herrauf. Das Telefonat scheint sie beendet zu haben und auch die Zigarette muss wohl fertig geraucht sein, denn beides hält sie nichtmehr in einer ihrer Hände. Kurz darauf kehrt die junge Frau ein weiteres Mal zurück, diesmal mit Kinderwagen und Kind. Nun da das Kind fast heldenhaft gerettet wurde, kann sich die junge Frau zur Beruhigung ihrer Nerven auf eine neue Zigarette und den Rückruf ihrer Freundin Jenny konzentrieren. Die Tüte vom Bäcker dient nun dem Baby als Kuschelbeilage im Kinderwagen.
Nachdem dieses erste, knappe 25minütige dauernde unterhaltsame Ereignis vorüber ist , schauen alle älteren Anwohner eines Wohnblocks die Hausfassada nach links, rechts, oben und unten ab und grüßen alle Nachbarn freudig zum guten Morgen. Daraufhin bricht eine Diskussion über eben Geschehenes los, bei der sich die Nachbarschaft gemeinschaftlich über das Verhalten der jungen Frau entrüstet und zu dem Schluss kommt, wie schlimm doch die Jugend von heute sei und das früher doch eh alles besser war.
Weitere Geschichten folgen an diesem Tag noch, aber ich will einfach nicht genauer auf den Drogendealer Justin eingehen, der auf offener Straße vor Beobachtern mit Weed und hartem Scheiß dealt. Oder darauf, wie er nun nichtmehr dealt, weil er später dann auf offener Straße ebenfalls vor Beobachtern verhaftet wurde. Etc.
Bei einem solchen Reallifedrama freue ich mich praktisch schon darauf älter zu werden und danke dem technischen Fortschritt, dass ich dazu in der Lage bin, mir in ferner Zukunft diese Alltagstragödie bequem auf der Couch liegend, und nicht auf der Steinfensterbank kauernd, im Nachmittags- und Nachtprogramm auf RTL anzuschauen.