Donnerstag, 24. Dezember 2015

Teil 1 - Meine alternative Weihnachtszeit

Dieser fantastische Text ist aus der Feder von Karobube & AliceUnknown entstanden!

Die Henkel der Einkaufstüte schneiden mit in die eingefrorenen Finger und ich kneife die Augen leicht zusammen, als würde ich wie ein tapferer Held die letzten Meter einer tagelangen Reise meistern. Und so ähnlich war es ja auch. Die Straßen sind vereist und die ganzen Leute auf dem Weihnachtsmarkt, welche dir Jesus Christus als den Retter preisen abzuschütteln, war auch ein Meisterstück.
Die alte Frau im Fenster starrt mich schon wieder an, als hätte ich mir die schlimmsten aller Gräueltaten erlaubt. Manchmal träume ich nachts davon, sie würde eines Tages tot in ihrem Fenster sitzen und mich nicht immerzu so anstarren. Ich lächele sie an, während ich mir die Träume in Erinnerung rufe und sie starrte zurück. Ein leises Miauen ertönt, doch ich achte nicht darauf, bis ich plötzlich den Boden unter den Füßen verliere und auf den kalten Pflastersteinen aufpralle. Alle Einkäufe verteilen sich vor meinen Augen auf der Straße, während die Katze, die mir vor die Beine gelaufen war, sich fauchend verzieht. Die Alte am Fenster verzieht ihre dünnen, knittrigen Lippen zu einem Lächeln.
Es ist nun das erste Mal, dass mich mein nächtlicher Traum auch tagsüber verfolgt : Wie sehr ich mir gerade wünsche, dass das Lächeln der Alten einfach einfriert, passt schließlich zur Kälte, und es würde kein Leben anstatt Hohn aus ihren Augen herüberstarren. Manchmal versüßen einem die schrecklichsten Tagträume die hellen Stunden.
Aufstehen muss ich trotzdem. Und die Alte ist gewiss nicht die einzige, die innerlich über mich lacht. Aber was interessieren mich die Anderen? Sie interessieren mich genauso viel wie der Tiefkühlspinat, der auf der Straße liegt, nunja, eigentlich interessieren sie mich weniger als Tiefkühlspinat, denn den Tiefkühlspinat muss ich jetzt nochmal kaufen. Also wieder hinein in Love-Parade ähnliche Zustände im Discounter um am Ende wegen einem Paket Tiefkühlspinat eine halbe Stunde an völlig uberfüllten Kassen anzustehen. Was ist nur los mit den Menschen? Erst lachen sie mich aus, sie lachen nicht laut, aber bestimmt lachen sie über mich, und sie lassen mich eh nicht vor, obwohl ich nur eine einzige Sache und das Geld schon abgezählt in der Hand habe. Und da heißt es Weihnachten wäre das Fest der Liebe, der Nächstenliebe, aber ein Scheiß, es denkt doch eh jeder nur an sich selbst.
Ich höre sie praktisch immernoch lachen, anstatt mir einfach zu helfen, meine verteilten Einkäufe aufzusammeln.
Der Spinat ist schnell bezahlt, die Kaugummi kauende Verkäuferin vollkommen entnervt und ich ebenfalls. Jetzt den ganzen Weg nochmal. Ich könnte heulen. Meine Finger fühlen sich an, als würden sie gleich abfallen, aber damit sollen sie gefälligst warten, bis ich Zuhause bin, damit sich der Inhalt der Plastiktüte nicht wieder auf der Straße verteilt. Ich beiße also die Zähne zusammen und stelle einfach einen Fuß vor den anderen, bis ich fast da bin, immer wieder, bis ich stehen bleibe und mit dem ersten schönen Ausblick an diesem Tag belohnt werde. Die junge, hübsche Nachbarin Sylvia vor ihrer Haustür, die gerade einen neuen Tannenkranz anbringt. Als sie mich erblickt, lächelte sie strahlend und winkte. Ich winke zurück und spüre in mir die Weihnachtsstimmung erblühen. Plötzlich ist alles wieder gut, es würde ein herrlicher Winter werden, dessen bin ich mir nun sicher. Ein paar Sekunden später öffnet sich die Haustür und ein großer Mann packt Sylvia mit seinen Pranken an den Hüften, um sie an sich zu zerren und sie zu küssen. Jetzt sieht sie noch glücklicher aus als zuvor und ich nicht. Vielleicht würde mich auch dieser unbekannte Mann in meinen Träumen besuchen, wenn ich ihn noch öfter zu Gesicht bekommen muss.
Wie schnell einem die Weihnachtsstimmung doch flöten gehen kann. Bei dem Gedanken, dass doch jetzt die Kindergartenkinder hier aus dem Stadtteil auf großer Weihnachts-Tournee sind und ihre Betreuerinnen mit Instrumenten, unter anderem Flöten, sie dabei begleiten, muss ich fast wieder lachen, zumindest huscht ein Grinsen in mein erfrorenes Gesicht, weil es ein zu großer Schlag ins Gesicht vom Schicksal wäre. Haha, die Weihnachtsstimmung geht Flöten, sehr lustig.
Ich glaube, ich grinse mehr aus Verzweiflung, als wegen meinem pseudolustigen Gedanken. Vielleicht ist ja eine hübsche Betreuerin dabei, aus dem Grinsen wird ein Lächeln. Und jetzt weiß ich es genau : Es ist eindeutig die Verzweiflung.
Ich gehe die letzte Meter auf meine Haustür zu und wäre dabei fast ausgerutscht, kann mich aber noch halten. Als ich nach meinem Schlüssel in der Hosentasche krame, denke ich an die Treppen, die ich jetzt noch laufen muss. Vielleicht wären sie leichter zu bewältigen, wenn ich ein anderes Ziel hätte, als das, was mich dort oben in meiner Wohnung erwartet. Während ich den Schlüssel in meiner anderen Tasche suche, summe ich leise und sehr unmelodisch Last Christmas, ohne es überhaupt zu realisieren. Schließlich habe ich das klimpernde Ding, welches sich in meinen kalten Fingern schon nahezu warm anfühlt, und schließe die Tür zum Treppenhaus auf. Das kostet mich natürlich mal wieder einiges an Anläufen. Türen aufschließen ist eine Kunst an sich.
Doch hinter der eigentlichen Kunst verbirgt sich viel mehr. Denn den Schlüssel halten und führen und die Tür öffnen war nicht die ganze Aufgabe, sondern das ganze mit steifgefrorenen Fingern und vollen Händen zu tun, das ist die wahre Kunst. In solchen Momenten sehe ich mich als feinmotorisches Genie, an der Grenze zwischen und Kunst und Mythos, aber natürlich würdigt mich kein Schwein dieser Kunst. Mit Nasenbluten auf eine Leinwand niesen ist heutzutage Kunst mit Milliardenbeträgen, oder einfach nur eine blaue Leinwand, wow, das ist so kreativ. Das schaff ich mit Paint am PC und mit irgendeiner online-Poster-Druckerei auch. Aber für meine Kunst am Schlüssel gibt es nichtmal einen müden Cent.
Apropos steifgefroren, der Spinat, der an der Kasse beim Auftauen einen Ozean ausschwitzte, dürfte mittlerweile auch wieder tiefgefroren sein. Bin ich froh, wenn ich jetzt mein Essen fertig habe um mir den Hunger zu stillen.
Meine Schritte führen die Treppe nach oben. Wie viele Stufen es genau sind, weiß ich nicht genau. Mein ganzes Leben lang wohne ich hier schon und immer, wenn ich versucht habe, die Stufen zu zählen, bin ich abgedriftet, wegen irgendwelchen Dreckflecken oder Rissen an der Wand, die mich vollkommen in ihren Bann gezogen hatten. So wie auch jetzt. Es lenkte mich von den Schmerzen in meinen Fingern ab, welche immer noch nicht aufgetaut waren, da das Treppenhaus nicht viel wärmer war als draußen. Schließlich stand ich vor der Tür und starrte sie an. Zehn Sekunden lang starrte ich auf die Tür und überlegte mir, was wäre, wenn ich einfach wieder nach unten gehen würde, zu der hübschen Betreuerin und mit ihr durchbrennen würde. Einfach so. Es würde alles besser machen, da war ich mir sicher. Vielleicht würden wir Kinder haben, vielleicht zehn Kinder. Obwohl ich eigentlich gar keine Kinder haben wollte, doch für sie würde ich sicherlich eine Ausnahme machen und es ohne Kondom pobieren.
Kondome! Mist, ich habe vergessen Kondome zu kaufen. Nicht, dass ich sie brauchen würde, aber man weiß ja nie, hübsche Betreuerin, Sylvia zum Beispiel. Ach komm, ich muss diese Betreuerin aus dem Kopf kriegen, sie ist doch eh nicht da, manche Tagträume sind zu schön um wahr zu sein, und wenn man sich dann daran erinnert, dass sie nicht wahr sind, dann macht das einen traurig. Die Alte lebt noch und sollte es eine Betreuerin geben, dann ist sie bestimmt hässlich, 2:0 für die Verzweiflung.
Themawechsel, Gott, ich ertränke mich ja noch selbst in den Abgründen meines Selbstmitleids. Dabei bin ich doch der DaVinci unserer Zeit, Picasso und Mozart in einem, und so begrüße ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, welche Damen und Herren ?, und so begrüße ich mich selbst zu meinem wohl größten Kunststück, das zweite Mal in Folge, die halben Strecke von Vier Gewinnt!, ich begrüße die Begeisterung und warte euphorisch die Kunst der Meisterschlüsselbeherrschung an meiner Wohnungstür bewundern zu dürfen.
Es ist garantiert keine fröhliche Weihnachtsstimmung, sondern das Extrem einer viel schrägeren Laune, wie das Lachen, wenn man einen weinenden Clown kitzelt.
Die Haustür öffnet sich mit einem leisen Knarzen, als ich sie aufdrücke und schließt sich mit eben jenem wieder, nachdem ich sie hinter mir wieder zurück in die Angeln befördere. Den Schlüssel klatsche ich auf die uralte Kommode neben den Kleiderhaken an der Wand des engen Flures. Das erste, was ich hörte, ist die Stille. Wunderbare Stille. Ich schließe die Augen und lausche, doch im nächsten Moment wird die Luft von einem lautstarken Schnarchen zersägt und ich zucke zusammen.
Denn ich weiß, was dieses Schnarchen bedeutet. Der Typ meiner Mutter ist da. Wie ich ihn hasse, Dreckskerl. Arbeitsloser fauler Sack, dreckige Made, Schmarotzer und Parasit. Pennt hier den lieben langen Tag, während meine Mutter arbeiten ist und ich mich durch die Kälte quäle. Und wenn ich jetzt anfange zu kochen, dann wird er wach und will bestimmt wieder was ab haben. Es ist so kotzreizanregend ihn beim Essen zu sehen. Wie ich ihn hasse. Er wird aufwachen und mies gelaunt, verkatert und untervögelt sein, denn meine Mutter ist nicht die Hure, für die er sie hält. Zu seinem scheiß Verhalten und Alkoholproblem mischen sich mehr als häufig Aggressionen mit ein, wenn er mich sieht. Dann wird er wieder mein Essen in sich stopfen und danach auf mich einschlagen. Ich will nicht wieder geschlagen werden. Vielleicht wende ich das Blatt und koche erst später. Mama ist nicht da und er schläft, eine seltene Gelegenheit.
Ich danke den Ärzten für einen Ohrwurm, der mich jetzt gerade begleitet, und mir Worte weist, auf die zu kommen ich viel zu aufgewühlt wäre. "Ich bin nicht stark und ich bin kein Held, doch was zu viel ist, ist zu viel. Für deine Aggressionen war ich immer das Ventil. ... Wie geht der Text weiter ? .. Mh.. Gewalt erzeugt Gegengewalt, hat man dir das nicht erklärt, oder hast du da auch wie so oft einmal nicht genau zu gehört ? Jetzt stehst du vor mir und wir sind ganz allein. Keiner kann dir helfen, keiner steht dir bei. Ich schlag nur noch auf dich ein. Immer mitten in die Fresse rein."
Direkt nach dem Aufwachen ist er noch zu benommen vom Schlaf, um ihm Anzeichen des Schmerzes anzusehen. Doch nach dem zweiten Schlag funkeln mich Dummheit, Aggressivität, Abscheu und Ungläubigkeit aus seinen Augen an, während zwischen seinen Zähnen das erste Blut zum Vorschein kommt. Ich gebe ihm keine Chance aufzustehen, sich zu wehren. Es ist keine Feigheit, es ist Überlegenheit, David schlägt Goliath, die Schere den Stein. Ich denke nicht nach was ich tue, es ist selten, dass ich mal nicht dauerhaft am Grübeln bin, doch jetzt herrschen in meinem Kopf die niedersten Triebe und meine Fäuste entfesseln einen Rachehagel.
Er liegt genauso da wie am Anfang. Nur schnarcht er jetzt nichtmehr. Und seine Zähne haben jetzt lustige Winkel. Alles in allem sieht er recht komisch aus, wie er so da liegt, Blut überall im Gesicht und mit hässlichen Flecken dort, wo ihn meine Fäuste getroffen haben.
Warum kann er nicht immer so friedlich sein, wie er jetzt bewusstlos da liegt.
Ich weiß, dass es eine Verzweiflungstat war. Ein krönender Abschluss dieses Tages. Ich sollte heute besser nicht mehr vor die Tür gehen. Doch wenn ich hier bleibe, muss ich Mama erklären, was eigentlich passiert ist.
Kaum sind die primitiven Instinkte nicht mehr dominant, denke ich wieder zu viel. Egal jetzt, ich zerbreche mir später den Kopf um darüber  nachzudenken, ich habe Hunger und keinen Widersacher mehr, der mir mein Essen streitig machen kann.
Was habe ich überhaupt eingekauft? Mamas Einkaufsliste zufolge natürlich nur Bio und kein Fleisch, so wie sie es immer liebt, obwohl sie meist nicht Zuhause isst. Und ich habe natürlich wieder mal nicht daran gedacht, mir etwas anderes zu besorgen. Mein Blick fällt wieder auf den Mann auf meiner Couch und ich lege den Kopf leicht schief. Meine Mama musse gar nichts merken. Zumindest noch nichts. Mein Magen brummt.
So langsam muss ich mich also in dir Küche stellen. Aber was soll ich nur kochen aus dem, was ich habe ? Ich weiß es, einen Nudeln-Spinat-Auflauf. Ein Auflauf wäre jetzt genau das richtige, um mich wieder aufzuwärmen.
Und nach gefühlt stundenlanger Arbeit auch noch das andere Gemüse klein zu schneiden, ist er jetzt endlich im Ofen. Ich liebe es ja mich vor den Ofen auf den Boden zu setzen und durch die vergilbte Scheibe zu beobachten, wie langsam etwas darin backt. Die Käseschicht oben drauf schmilzt und wird dann dunkel und verkrastet. Der Auflauf schlägt oben kleine Bläschen und die aufsteigende Luft an manchen Stücken zieht kleine Karotten- oder Paprikastücken mit, die versuchen sich durch die Käsemauer zu befreien.
Mein Kopf sackt ein wenig auf die Seite und ich beobachte fasziniert das Schauspiel. Der Duft steigt mir in die Nase und ich ziehe die Luft genüsslich ein. Als sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter legt, fahre ich zusammen und verschlucke mich. Ist Mama etwa schon da?! Doch als ich mich umdrehe, höre ich schon das Geräusch. Ein heiseres, gurgelndes Knurren und mir wird heiß. Ich sehe direkt in das Gesicht des Freundes meiner Mutter. Es ist so leblos wie zuvor, keine Wut ist darin zu lesen, wie sonst immer. Nur jetzt mit dem Unterschied, dass er sich bewegt. Kein Schrei kommt aus meinem Mund raus, obwohl er sich öffnet, fast so weit, dass meine Mundwinkel wehtun. Ich springe auf, greife hinter mich und bekomme das Nudelholz zu fassen. Jetzt bin ich mir sicher: Ich bin in eine Zombieapokalypse geraten! Ich werde der mutige Held sein und alle schönen Frauen vor den widerlichen Viechern retten. Während mir diese euphorischen Gedanken durch den Kopf gehen, schlage ich zum zweiten Mal wie ein Wilder auf den Mann, oder besser gesagt dem Zombie, vor mir ein, dränge ihn zurück, bis zu dem Kleiderschrank im Zimmer meiner Mutter, dessen Tür auf ist. Der Zombie stolpert und fällt in das Durcheinander von Klamotten. Ich mache die Tür zu. Stille. Vollkommene Stille. Er bewegt sich nicht mehr. Habe ich ihn etwa erledigt? Vorsichtig, das Nudelholz erhoben, öffne ich die Tür zu dem Schrank und gucke vorsichtig hinein. Doch da ist nichts. Kein Zombie. Und auch, als ich weiterkrame finde ich nur Unterwäsche von meiner Mutter, die ich eigentlich nie zu Gesicht bekommen wollte.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Bleicher Herbst

Vor ihm liegt nur der Wald. Ein Sandweg zu seinen Füßen, der in eben diesen Wald aus hohen Bäumen, mit Stämmen umhüllt von dunkler Rinde und mit einer feuerroten Blätterkrone, führt. Es ist Herbst, und während Aaron vor dem Eingang des Waldes still und unbewegt schon eine gefühlte Ewigkeit steht, werden einzelne Blätter vom Wind fortgetragen. Ein Spektakel wie farbenfroher Regen, dem man stundenlang zuschauen könnte. Und vor diesem Wald stehend, von fallenden Blättern umgeben und auf einer Stelle verharrend, fragt er sich, was er hier eigentlich sehen soll ? Denn all das sieht er nicht.


 



 
 
 
 Nie hat er ein Blatt in herbstlichen Farben gesehen, oder ein Blatt in sommerlichem Grün, oder gar eine Knospe. Aaron hat immer nur die Anderen sagen hören, wie schön das aussieht und dass man so etwas einfach mal gesehen haben muss.
Also wieso steht er hier ?
Aaron steht nun schon eine gefühlte Ewigkeit hier. Er spürt den Wind, der ihm ins Gesicht und durch die Haare weht, und natürlich merkt er es auch, wenn eines der vielen bunten Blätter gegen ihn geweht wird. Nur weiß er dann nicht, welche Farbe ihn gerade getroffen hat.
Ob grün, gelb, rot oder ein verdorrtes Braun. Aber ist das überhaupt wichtig ? Er weiß, dass es ein Blatt war, das ihn getroffen hat, denn das kann er fühlen, nur die Farbe sieht er nicht.Da er noch nie diese Farben gesehen hat, vermisst er sie auch nicht. 



 
In schlaflosen Nächten, wenn ihn die Langeweile und seine Gedanken wach halten, hat er schon oft über so etwas nachgedacht. Hätte er einst ein Augenlicht besessen, hätte er also schonmal diese Farben gesehen, auch wenn er im Laufe der Zeit vergessen hätte, wie sie aussehen, dann, so ist er sich sicher, würde er sie jetzt vermissen. Aber einen Blinden interessieren Farben nicht, egal wie schön sie sein sollen.
Ein weiteres Blatt wid gegen ihn geweht als der Wind zu nimmt, es schlägt ihm ins Gesicht. Aaron löst sich aus seiner Starre, hat doch eh keinen Sinn weiter dort zu stehen, wo er nichts sehen kann, und folgt dem Sandweg in den Wald hinein. Kaum ist er an den ersten Bäumen vorbei spürt er schon wie hier der Wind nur viel schwächer durchkommt. Oder wie er es nennen würde, er sieht, dass der Wind hier im Wald schwächer ist. Er sieht auch die vielen Pflanzen, die schon auf den ersten Metern den Wegrand säumen. Nun er sieht sie nicht wirklich, aber es ist seine Auffassung von Sehen, er nimmt sie wahr, und wo andere sie mit den Augen wahrnehmen, da nimmt er sie einfach wahr, ist doch egal wie, also Sehen. Er sieht auch den See, der im Wald in relativer Nähe liegt, denn er stinkt ganz schön. Aaron macht sich auf zu diesem See, weit kann es ja nicht sein. Solange er den Waldwegen und seiner Wahrnehmung folgt, wird er ihn schon finden. Er spürt, wie der Sand unter seinen Schritten einsackt und hört das Knirschen, und mit den Händen immer am Wegrand das Gebüsch streifend, weiß er auch wann er eine Kreuzung gefunden hat. So kommt er schon nach kurzer Dauer am See an, wo er sich erstmal auf eine Bank setzt, die er direkt davor mit seinem Schienbein gesehen hat, und sich sein Schienbein reibt. In der Senke des Sees ist auch fast kein Wind zu spüren, muss er wohl aus der Richtung kommen, wo in Aarons Rücken die Bäume dicht beieinander stehen.
Aaron tastet vorsichtig auf dem Boden und findet nichts außer Sand und ein paar kleine Wurzeln, der Sträucher hinter der Bank, bis er einen Stein findet. Keinen runden, einen eckigen, kantigen Stein, mit spitzen Ecken und scharfen Kanten. Im Sitzen hebt er den Stein hinter den Kopf und spant seine Muskeln, dann atmet er einmal tief aus und wieder teif ein und wirft dann den Stein in einem hohen Bogen.
Aaron hört das Plätschern, als der Stein die Wasseroberfläche trifft und hört Flügelschläge, wo aufgeschreckte Vögel hektisch davon fliegen. Er sieht die Kreise, die sich von dem Stein weg langsam über das Wasser bewegen.

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Naturschau

Blitze im Himmel und Stürme auf See,
Trockene Luft und Beben an Land,
Hungrige Tiere in Rudeln zu sehn
Pflanzen sprießen auf giftigem Sand.

Naturschau selbst in dunkeln Kellern,
Reiner als Wasser aus frischen Quellen,
Wunschprojektion treibt den quälenden Geist,
Der die Natur zwar kennt doch von ihr nichts weiß.
Der Mensch ist kein Schöpfer und auch nicht ihr Herr !

Montag, 23. November 2015

Die Richtung ins Leben

Nach langer Zeit auf Schulstühlen und vor zu kleinen Schultischen, was wurde nur aus alt bekannten Schulbänken, steht man orientierungslos, wenn nicht sogar desorientiert und desinteressiert, mit einem Schulabschluss in der Hand vor der offenen Welt des Berufslebens, das sich hinter verschlossenen Türen versteckt.
Der Schlüssel dazu ist ein Abschluss, den du noch gar nicht hast. Dein schickes Schulzeugnis ist nur der Schlüssel dazu einen weiteren Abschluss anstreben zu dürfen. Und dieser Schlüssel passt nicht in jedes Schloss, und so hagelt es eine Uniabsage nach der anderen.
Nun nicht alle sind so orientierungslos aus der Schulzeit gekommen und hatten schon genaue Ziele die sie natürlich auch schon anstrebten, für sie kamen nur Zusagen. Und andere wurden in bestimmte Richtungen erzogen und hatten durch Beziehungen der Eltern noch ein paar Schlüssel mehr zur Hand, auch für diese kamen keine Absagen. Einer strebt an Banker zu werden, der Andere will Arzt oder Chirurg werden, aber nicht irgendein Arzt, sondern Chefarzt, und wieder ein Anderer macht eine Ausbildung in Papas Versicherungsunternehmen. Hoch angesehene Berufe, gut bezahlt, und das wissen sie alle. Was sie auch wissen, ist, dass sie es meist nur wegen dem Geld machen. Was sie aber allen sagen, ist, dass es ihre große Leidenschaft ist.
Und man ist nun gezwungen die Orientierungslosigkeit und die leere Zeit nach den Absagen zu füllen. Ein Nebenjob an der Tanke und sonst nur faulenzen würde zwar gegen die Zeit helfen, aber bringt einem an sich eigentlich nichts. Und so entscheidet man sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst und hängt noch Langzeitpraktika zur Orientierung dran.
Und in meinem Fall führte das zu mehreren Erkenntnissen, was die Arbeit im sozialen Bereich angeht. Zum einen gibt es Berufe, die müssen einem liegen. Ich habe einen solchen Beruf kennen gelernt, ich habe ihn ausgeführt, ich habe merken müssen, dass er mir nicht liegt, und ich hege nun tiefen Respekt vor Menschen, denen er liegt. Zum weiteren gibt es aber auch Berufe im sozialen Bereich, die mir sehr gut liegen und in denen ich meine Richtung gefunden habe. Doch die letzte Erkenntnis hätte allen, die nur auf Geld aus sind, das Genick gebrochen, denn Arbeit im sozialen Bereich wird in der Regel mehr als schlecht bezahlt.
Meine Richtung liegt jetzt darin, dass ich in Gebieten der Jugendförderung arbeiten will. Ob als Lehrer, Jugend-/Schuldsozialarbeiter oder was auch immer.
Im nachhinein betrachtet glaube ich, dass ich gar nicht so orientierungslos von der Schule kam. Denn ich war in der Schule schon tief beeindruckt, wenn ein Lehrer mich vor eine Frage gestellt hat, die mich dazu zwang noch ein drittes Mal das zu durchdenken, worüber ich doch bereits so lange nachgedacht hatte, dass ich mir dessen sicher war. Ich empfand es immer als eine positive Art der Beeinflussung, was mich dazu prägte es eben jenen guten Lehrern gleich tun zu wollen.
Um das mit der Orientierung auf eine Weg-Metapher zu beziehen : die Schulzeit war eine Einbahnstraße, die zu einer Kreuzung führte. Vor der Kreuzung stand ich nun und fühlte mich orientierungslos, obwohl ich schon in die richtige Richtung geschaut habe. Mir hat nur ein letzter Stoß gefehlt den richtigen Weg zu gehen.
Ich will später auch mal Ideen und Inspiration an Kinder und Jugendliche weiter geben. Ich hoffe sehen zu können, wie diese Ideen in ihren Köpfen bleiben und dort wachsen, wie sie sich vielleicht ausbreiten. Ich will Kindern und Jugendlichen Inspiration geben können und hoffe ihnen selbst Inspiration zu sein.

Wenn in einer Firma eine Idee aufkommt, dann bleibt sie in dieser Firma, dann wird sie nur zur Geld.
Sollte in meinem Unterricht oder ähnlichen eine Idee aufkommen, dann wird sie nicht unbedingt zu Geld, sondern zu einem Teil von einem oder mehreren Menschen.

Die Leute, die nach der Schule schon wissen, dass sie nur auf Geld aus sind, hinterlassen ihr Leben lang mit jedem Schritt nur Fußabdrücke.
Ich hingegen habe vor mit jedem Schritt einen Baum zu pflanzen, dessen Äste für Ideen und die Blätter daran für die Inspiration, die eine Idee mit sich bringt, stehen.
Und auch wenn die Leute immer wissen werden zu wem der Fußabdruck gehört bevor er verblasst, so bleibt doch der Baum am Ende länger bestehen.




Das ist vielleicht das Ehrlichste was ich jemals hier geschrieben habe (außer Kleinstadtpanoptikum), da es von mir und nicht von erfundenen Personen in erfundenen Szenarien handelt.
Ich wäre echt mal auf euer Feedback gespannt.
Btw, ich verurteile hier nicht unbedingt jeden CEO einer Profitfirma. Ich habe die Verallgemeinerung bewusst zur Verdeutlichung übertrieben.

Montag, 16. November 2015

"Es ist ein langer Weg !"

"Mein Name ist Wolfgang Bach und ich richte diese Zeilen an Jenen, der diesen Brief finden möge, in der Hoffnung Sie vor dem zu bewahren, dass im jetzigen Moment an meinem Leben zerrt. Ich führe die Feder mit der letzten Kraft, die ich aus flachen Atemzügen zu schöpfen vermöge.
Ich nehme zur Sinngebung dieser Zeilen einfach mal an, dass sie der selbe Sturm der Neugier in das Abenteuer der Entlegenheit, des Unbekannten und des Entdeckens drängte. Ich erinnere mich gut, wie mich noch vor wenigen Wochen das Leben meiner Eltern langweilte, und ich nehme an, Ihre Motivation diesen Weg zu gehen, beruht auf dem selben Weltendrang. Ich kann Ihnen nur sagen, es ist ein langer Weg.
Zum Zeitpunkt, zu dem ich diesen Brief an seinen Finder schreibe, ist dieses Land noch unerkundet. Fast, ich habe es erkundet, aber seien wir ehrlich : dieses Wissen wird in wenigen Minuten mit mir verloren sein. Ich hoffe Sie kennen sich besser aus.
Sie sind verloren, wenn Sie, wie ich, zu wenig Lebensmittel mit haben. Seit Tagen hungere ich, ich merke, wie ich immer langsame laufe und wie ich mich selbst von innen verzehre.
Sie sind verloren, wenn Sie, wie ich, nur ein Seil mit haben. Ich hatte eines, das mir sehr geholfen hat einige Hindernisse zu überqueren. Doch fehlte mir ein zweites um weitere Hindernisse zu überwinden. Und so lief ich weite Strecken und verloren wichtige Zeit und Kraft.
Sie sind verloren, wenn Sie, wie ich, schlecht bewaffnet sind und mit jenen Waffen nicht einmal umzugehen wissen. Ich wundere mich seit meiner ersten Begegnung mit den Raubtieren dieser Wälder, dass ich erst jetzt sterben muss.
Sie sind verloren, wenn Sie, wie ich, diesen Weg zu gehen anstreben.
Kehren Sie um !
Sofort !
Lassen Sie sich nicht von Neugier in Ihr Verderben drängen.
Sie müssen sich Ihren eigenen Weg durch diese Wälder schlagen um erst am Ende zu wissen, dass Sie nicht einmal bis an das Ende Ihres eigenen Weges gelangen.
Ich habe es versucht, ich weiß, was ich hier schreibe.
Ich werde nun meine letzten Zeilen schreiben, da ich merke, wie es um mich herum kälter wird und meine Lungen anfangen zu zittern. Und mein Herz schlägt auch immer langsamer, ungefähr so : Bumm-Bum...Bumm-Bum.....Bumm-Bum.......Bumm-Bum.
Sollten Sie neben diesem Brief noch unverscharrte menschliche Überreste finden, so bitte ich Sie, mich angemessen bei zu setzen.
Sollten dieser Brief Sie zum umkehren angeregt haben, so freue ich mich vielleicht Ihr Leben gerettet zu haben.
Sollten Sie meine Warnungen ignorieren, so wünsche ich Ihnen Viel Glück !
Ich würde für Sie vor meinem Ableben noch zu Gott beten, doch verlor ich meinen Glauben irgendwo in dieser Einsamkeit. Möglicherweise haben Sie ihn ja gefunden, wahrscheinlich haben Sie Ihren aber bereits auch schon verloren.
Alles Gute !,
Wolfgang Bach, gescheiterter Entdecker.
P.S. : Habe ich erwähnt, dass Sie einen langen Weg vor sich haben ?"

Freitag, 13. November 2015

Ich bin frei.

Wieder laufe ich durch die Straße.
Wieder habe ich zu viel gesehn.
Zwar bin ich frei auf meinen Wegen,
doch weiß ich nicht, wohin solls gehn ?

Freiheit heißt frei zu sein.
Freiheit heißt Leben.
Ich versuche frei zu sein,
lass mich nicht gefangen nehmen.

Ich schau mich um, ich sehe Wände.
Ich geh nach vorn, mir fehlt die Richtung.
Man fasst mich an und hält mich fest -
Ich sehe nichts, bin blind und stumm.

"Lass mich los !"
Ich will hier weg.

Ich will hier weg
Ich bin frei.

Und ich schreie in den Wind,
ich spreche aus, was wir denken :
"Ich bin weder stumm noch blind !"

Freiheit heißt frei zu sein,
Freiheit heißt Leben,
Freiheit mit den Sinnen spüren,
Die kann man nicht in Ketten legen.
Freiheit ist das Recht zu sehen,
Freiheit ist das Recht zu hören,
Freiheit ist auch auszusprechen,
Wie es ist und was uns stört.

Sonntag, 25. Oktober 2015

Stimmen 2

"Er ist fort."
"Wer ?"
"Er."
"Aha. Wohin ist er gegangen ?"
"Wer ?"
"Ja er."
"Aha."
Der Prophet reibt sich das Kinn, tastet sich seinen Hals ab, fühlt den Puls. Er beobachtet das Gespräch am frühen Morgen. Er ist aufgewacht und er war weg. Der Prophet wundert sich, die Sonne erhellt das Zimmer, es sind nichtmehr die Blitze, die Licht spenden müssen, und anstatt von Regen an der Scheibe und Donner hört man fast nichts, man hört nur leichte Windbrisen außerhalb der Hütte. "Ihr vermisst ihn", stellt der Prophet fest.
"Wen ?"
"Ihn."
"Aha."
Stille kehrt ein in der Hütte, niemand sagt etwas, außerhalb der Hütte weht immernoch der Wind. Der Alte liegt in seinem Bett, schweigend, und der Verrückte starrt das Dach von unten an, ebenfalls schweigend, und der Prophet beobachtet nur mit blassen Augen, denen jeder Glanz fehlt, und mit einem leeren Gesichtsausdruck, und er beobachtet schweigend.
Während der Alte noch im Bett liegt, unter der Decke, gerade eben erst aufgewacht, fängt er an zu zittern. "Mir ist kalt", zerbricht er die Stille. "Er ist weg", erwidert der Verrückte.
"Wer ?", fragt der Alte, sichtlich verwirrt.
"Er."
"Der Wanderer", klärt der Prophet auf : " Er ist nicht fort gegangen. Er ist weiter gezogen."
"Das macht keinen Unterschied. Es klingt nur netter."
"Hat er die Stimmen mitgenommen ?", fragt der Alte, seine Stimme bebt vor Hoffnung, oder sie bebt, weil er zittert und ihm hinter blauen Lippen die Zähne klappern.
"Ich fürchte dein Fieber kehrt wieder.", sagt der Prophet. Seine Stimme ist von Mitleid erfüllt, ganz im Gegensatz zu seinem vorwurfsvollem Gesichtsausdruck. Der Verrückte wirft die Decke von sich, steht auf, geht ans Fenster und schaut hinaus.
Der Alte sucht die Scheibe nach den Tropfen des Regens der letzten Nacht ab. "Hat er die Stimmen mitgenommen ?"
"Wer ?"
"Er." "Der Wanderer ?"
"Ja."
Ungeduld kocht im Verrückten hoch. Ihm rutscht die Hand aus, er schlägt gegen die Scheibe, sie zerbricht und Scherben fliegen durch den Raum. Scherben zerschneiden seine Hand, sodass diese innerhalb von Sekunden rot angemalt aussieht. Scherben fliegen auch bis ins Bett und auf den Tisch. "Leg dich wieder schlafen, alter Mann. Sofort !", befiehlt der Verrückte, "oder soll ich dich mit dem Messer schlafen legen ?". Seine blutige Hand zeigt Richtung Tisch und tropft dabei den ganzen Boden voll.
"Vergiss das rostige Messer. Ich kann ja auch noch die Stimme des Propheten hören.", mit leisen und kleinen Schritten schleicht der Alte wieder zum Bett zurück, legt sich hinein, auf die weiche Matratze und die vielen Scherben, die ihm nun in den Rücken schneiden.
"Die vielen Wunden helfen dir nicht das Fieber zu überstehen", sagt ihm der Prophet : "ich wünsche dir eine gute Besserung."
Wieder reißt dem Verrückten der Geduldfaden, so ein Gerede will er sich nicht anhören müssen, und unter Schmerzen schreit er dem Propheten entgegen : "Raus ! Raus mit dir Prophet ! Ich will dich hier nicht mehr sehen müssen, raus !"
Man hört den Alten noch etwas ergänzend flüstern, während er sich mit der blutigen Hand die Decke über dem Körper sieht, "Und nimm die Stimmen mit dir.", dann schließt er die Augen und versucht zu schlafen.

Samstag, 17. Oktober 2015

Oh armer, alter Mann - Teil 3

Ich sah ihn nicht von weitem, den armen alten Mann, auch sein Pferd sah ich nicht von weitem. Ich sah ihn von ganz nah, den armen alten Mann, und sein Pferd stand neben mir, neben mir und nicht bei ihm, oh armer alter Mann. Von oben schaue ich auf ihn hinab, wie friedlich er dort liegt, der arme alte Mann. Die Augen geschlossen und ein Lächeln im Gesicht, so liegt er in seinem Grab, das ich für den alten Mann ausgehoben habe. Ich sagte ihm ja, er wird sterben, und ich wusste er wird sterben, und trotzdem liefen mir Tränen über mein Gesicht als ich ihn hinunter ließ, in die Erde hinein, sodass der Teufel in der Tiefe seine Seele zu sich nehmen konnte. Und sein Pferd stand neben mir, die ganze Zeit, und schaute hinab ins Grab zum armen alten Mann und schaute mich an, als ich das Grab zu schaufelte, und lief mir nach, als ich ging.
Und so nahm ich mich eines weiteren Pferdes an, wieder war es ein Pferd des alten Manns. Ich stellte das Pferd in den Stall des toten Pferdes und ließ es dort leben, wo das tote Pferd seinen letzten Atemzug genommen hatte. Dort, wo das tote Pferd krank war, während der alte Mann reiste.
Das Pferd lebte dort, ich kümmerte und sorgte mich um das Pferd. Immer wieder dachte ich an den alten Mann, wie ich ihn das erste Mal sah, was das Erste war, was ich ihm sagte und was wir zusammen taten. Ich dachte an den armen alten Mann, wenn ich das Pferd fütterte, und ich dachte an den alten Mann, als sowohl das Pferd als auch ich älter wurden. Und eines Tages dachte ich an das, was ich ihm als Erstes sagte und erinnerte mich dann an das, was er mir erzählte. 
Es gäbe so viel zu sehen und er habe zu wenig gesehen, und ihn zog es in die Welt, und am liebsten würde er fliegen. Doch er könne nicht fliegen.
Und ich dachte nach, ich habe ebenfalls zu wenig gesehen, dabei gibt es so viel zu sehen. Oh armer alter Mann, du hast mich an das Pferd gefesselt, das ich hier angefesselt habe. So schnitt ich das Pferd los um die Welt zu sehen, ich konnte ebenfalls nicht fliegen. Das Pferd war gesattelt, alt und schwach wie es schon war, und dann ritten wir dem Ende der Welt zu, weg vom Sonnenaufgang, dahin strebend wo der Horizont die Abendsonne verschlingt.
Und fern von zuhaus, eines morgens mit der Sonne im Rücken, sah ich ihn, den jungen Mann. Und als ich ihm näher kam und ich ihn genauer sah, wusste ich, dass er mir etwas zu sagen hat. Oh armer alter Mann, ich weiß, was er mir sagen wird. Er kommt und sagt mir "Alter Mann, dein Pferd wird sterben."

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Ritt des toten Pferds - Teil 2

Ich sah ihn schon von weitem, den armen alten Mann auf seinem Boot. Und er legte dort mit seinem Boot an, wo ich ihn erst vor zwei Tagen ablegen gesehen habe. Er sagte zu mir die Haie haben sein Pferd, doch ich sagte ihm, dem armen alten Mann, es gäbe so viel zu sehen und er habe auch jetzt nicht genug gesehen und fragte ihn ob er denn mittlerweile fliegen kann. Da sagte der arme Mann Nein, könne er nicht und die Seele seines Pferdes würde beim Teufel in der Tiefe ruhen. Ein letztes Mal musste ich ihm widersprechen, er hat sein totes Pferd noch bei sich um damit die Welt zu erkunden, und ich sah in seinem Gesicht, dass er mich nicht verstand. Ich sagte ihm nichtsmehr, dem armen alten Mann, ich ließ ihn rätseln, als wir zusammen am Feuer saßen. Ihm fiel die Antwort nicht ein, noch immer wusste er nicht, was ich meinte. Und als er erkannte, dass ich ihm da auch nicht helfen könne und er dachte weder fliegen zu können noch ein Pferd zu haben, hörte er auf zu rätseln und legte sich schlafen. Und während er schlief, der arme alte Mann, Schlaf brauchte er dringend, krank wie er war, da ließ ich ihm am Feuer liegen und ging zurück zu meiner Hütte. Als ich in der Hütte nicht fand was ich suchte, suchte ich im Stall weiter, wo ich fand was ich suchte. Und dann kehrte ich mit einem Eimer Farbe zum alten Mann zurück, er schlief noch. Und dann ging ich weiter zu seinem Boot und schrieb den Namen des Bootes an die Wand. Dann ging ich wieder zurück zum alten Mann, immernoch schlief er noch. Und ich hob ihn hoch, den armen alten Mann, und trug ihn auf sein totes Pferd. Dann machte ich die Segel los, sodass es fliegen konnte, sein totes Pferd. Und der arme alte Mann schlief, als sein totes Pferd über die Wellen in den Sonnenaufgang ritt.
Ich bin dann wieder meiner Alltagsarbeit nachgegangen, tagelang, und habe mich gefragt was wohl aus dem armen alten Mann geworden sei. Auch nach Monaten noch dachte ich täglich an den alten Mann, als ich mich Neuigkeiten erreichten. Neuigkeiten von einem armen alten Mann, der alleine auf einem kleinen Boot die Welt erkunden wird. Ich erfuhr wo er war und ihn welche Richtung er derzeit segelte. So ließ ich all meine Alltagsarbeit liegen und ging zu der Stelle, wo wir am Feuer beisammen saßen. Und am Horizont konnte ich es schon sehen, ich sah die Segel des toten Pferds. Ich entzündete ein Feuer und wartete auf ihn. Und als er dann angelegt hatte und zu mir kam, da sah ich ihn schon weitem, den armen alten Mann auf seinem Pferd, einem jungen Pferd. Und er sah schlimm aus, krank und matt, schlimmer als ich ihn in Erinnerung hatte. Doch sein Pferd sah gut aus, jung und frisch, er muss es sich neu gekauft haben. Und dann sagte ich zu ihm "Alter Mann, du wirst sterben."

Montag, 12. Oktober 2015

Der Moment der Explosion

Sie hat heute frei gemacht, obwohl sie momentan nicht einmal mehr ungern in die Schule geht. Vielleicht war das Wochenende ein wenig zu anstrengend, aber trotzdem schön, und einen Tag konnte man sich ja mal leisten. 
Sie beschließt, diesen zu nutzen, um das Bad sauber zu machen, die Küche und vielleicht auch ihr Zimmer. Während sie sich als allererstes dem Bad zuwendet, überlegt sie, was sie heute sonst noch alles tun kann, ist gut gelaunt, obwohl es ihr am gestrigen Abend noch so schlecht ging. Die Putzaktion dauert länger als erwartet. Mehr als zwei Stunden bemüht sie sich, die sanitären Einrichtungen in ihrem Elternhaus zu säubern, vielleicht kann sie damit ihrer gestressten Mutter eine Freude machen. 
Doch diese kommt schneller zurück als erwartet, das Bad ist zwar fertig, nur alles andere eben nicht. Und noch dazu ist die gerade von der Arbeit Kommende gestresst, sie wird kaum Pausen heute haben und sich auch noch mit der pubertierenden kleinen Schwester und Mathe herumschlagen müssen. Natürlich verdeutlicht sie all dies der großen Schwester, ohne sich überhaupt Mühe zu geben, nicht genervt zu klingen. Außerdem sähe alles so schrecklich unordentlich aus. Natürlich weiß sie nicht, dass ihre Tochter gerade eben noch das Bad geputzt hat. Beide sind genervt und die Tochter kennt das von ihrer Mutter. Sie kennt diese Seite von ihr, die jeden Moment ausbrechen kann, wegen nur einer Kleinigkeit passiert. In der Luft kann man die angespannte Stimmung förmlich greifen. Aber sie nimmt keine Rücksicht darauf. Sie selbst ist gereizt durch die so schnell getrübte gute Laune und keift zurück. Der Moment der Explosion.
"ICH KLATSCH' DIR GLEICH EINE, WENN DU WEITER SO FRECH BIST!"
Das Schreien der Mutter hallt laut durch die Küche und wie ein Echo durch den Kopf ihrer eigenen Tochter. Diese guckt sie verdutzt an, vielleicht nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann geht sie einen Schritt auf ihre Mutter zu und entschärft die Situation, obwohl das wahrscheinlich nicht einmal ihre Absicht ist.
"Dann mach doch, schlag mich einfach! SCHLAG MICH!", ist ihre Antwort und wahrscheinlich steckt so viel Ehrlichkeit in ihr, dass die Mutter sich zurücknimmt. Sie widersteht dem Drang, den sie noch vor ein paar Sekunden hatte und lässt die Hand sinken. Obwohl sie diesem schon einmal freien Lauf gelassen hat, wobei die jüngere der beiden Schwestern daran glauben musste.
Der Moment zieht vorbei, während beide sich einfach nur stumm in die Augen blicken und tief in ihrem inneren wissen, was in dem Kopf des anderen gerade vorgehen muss.


Montag, 5. Oktober 2015

Das tote Pferd - Teil 1

Ich sah ihn schon von weitem, den alten Mann auf seinem alten Gaul. Und so wie er mir näher kam und ich ihn genauer sah, wusste ich, dass es ihm nicht gut ging, und seinem Pferd auch nicht. Und ich sagte dem alten Mann, "Alter Mann, dein Pferd wird sterben.", und wusste nicht, dass er mir daraufhin seine Lebensgeschichte erzählen würde. Er sagte, es gäbe so viel zu sehen und er habe zu wenig gesehen, und jetzt zieht es ihn in die Welt, und am liebsten würde er fliegen. Doch er könne nicht fliegen, und so habe er sich das Pferd gekauft. Es wäre aber nur ein Pferd, ohne Flügel. Und da bot ich dem alten Mann an, dass ich mich um sein Pferd kümmere und es reite, wenn es nicht stirbt. Und so zog der arme alte Mann alleine weiter.
Das Pferd starb, es ist so tot wie ein Nagel in der Wand, und es wird nicht wieder kommen und ich werde mich nichtmehr drum kümmern und sorgen müssen und der alte Mann, der arme alte Mann, wird es nie wieder reiten.
Und der alte Mann kam zu mir, ich habe es ihm ja gesagt, sein Pferd ist tot. Wir nahmen ihm, dem Pferd, sein Haar, doch nur um Segel zu nähen und Segel zu flicken. Und wir nahmen ihm die Hufeisen und formen Nägel daraus. Und Stück für Stück bauten wir, der arme alte Mann und ich, ein Boot.
So nahm der arme alte Mann das tote Pferd und fuhr damit raus aufs Meer. Ich habe dem Alten ja gesagt, dass sein Pferd sterben wird, und doch liefen ihm Tränen über sein Gesicht, als er es an einem langen Seil in das Meer hinab ließ, sodass die Haie seinen Körper und der Teufel in der Tiefe seine Seele zu sich nehmen.

Mittwoch, 30. September 2015

Willkommen in der Sackgasse

Vor sich sieht sie Feuer. Ein paar Stücke Holz, aus irgendwelchen Möbeln herausgebrochen, die mit lodernden Flammen zu leuchtender Glut herabbrennen. Die Hitze schlägt ihr ins Gesicht und treibt ihr Schweiß auf die Stirn. Jenna sitzt vor der Feuerstelle in der Mitte des Wohnzimmers, denn im Rest des Hauses ist es kalt, zu kalt. Ende November plagt das Wetter die Bewohner der Kleinstadt schon mit Minusgraden. In der Küche ist das Fenster eingeschlagen und in mindestens 3 anderen Zimmern des Hauses sind die Fenster undicht. Die anderen Zimmer erfüllen eigentlich keine Funktion mehr. Das Bett steht direkt vor dem schwarzen Loch im Boden, das als Feuerstelle dient. Jenna hatte das Feuer immer in der Küche gemacht, doch nachdem dort eingebrochen wurde, weswegen die Scheibe zerbrochen ist, hat sie es sich anders überlegt. Außer einem Feuer und vielen, vielen zerlumpten Decken hat sie nichts, um sich vor der Kälte zu schützen. Das undichte Haus heizt sich auch nicht auf, da aus allen Ecken der Wind hinein zieht. Er schleicht sich durch die selben undichten Stellen, durch die jeden Morgen auch der Nebel seinen Weg hinein findet. Jenna ist fast schon gezwungen ihre Abende und Nächte zusammengekauert vor dem Feuer zu verbringen. Krank wird sie so trotzdem schnell. Vorallem zu dieser Jahreszeit, vorallem wenn nicht nur die Kälte bis in die Knochen zieht, sondern Jenna auch noch von Nebel und Regen gequält wird. Aber krank sein ist sie gewohnt. Und auf der Straße heißt es "was dich nicht umbringt, macht dich stark".
Dort verbringt sie ihre Tage, auf der Straße. In diesem heruntergekommenen Stadtteil, in dem sich früher Industrieanlagen aneinander gereiht haben. Fabrikgebäude, die die Punkszene zu Wohnhäusern und Treffs umgebaut hat, locken weiterhin alle Waisen oder perspektivlosen Jugendliche der Stadt an. So kam auch Jenna hierher. Im Streit mit ihren Eltern konnte sie es sich nicht vorstellen, weiterhin im Haus ihrer Kindheit zu wohnen. Ihre Eltern sagten dieser Alex von nebenan sei kein guter Umgang für sie. Doch als 14-jährige war sie leicht zu locken mit dem Versprechen von jugendlicher Freiheit ohne Kontrolle der elterlichen Autorität. Und so folgte sie ihm, in den Stadtteil, der " von Jugendlichen regiert wird", in eine Hochburg der Armut, Verzweiflung und jugendlicher Drogenkultur, in ein Labyrinth aus Ruinen, zerfallenen Straßen und Sackgassen. Jenna lebt hier seit 3 Jahren, zwischen menschlichen Wracks und absoluten Fehlbeispielen, und betet, dass sie niemals der schlechte Umgang eines anderen Kindes wird. Sie erfährt nichts von der versprochenen "jugendlichen Freiheit", sondern nur den Zwang um das nackte Überleben zu kämpfen. Wer um Essen betteln muss hat keine Zeit für Schule, wer aus Pfützen trinkt oder sich mit Alkohol vor dem Verdursten rettet hat keine Zeit sich wieder aus diesem Leben rauszuwinden, und so lebt sie im Dreck und mit ständiger Kankheit.
Hinter sich hat Jenna ein Leben, aus dem sie etwas hätte machen können. Vor sich sieht sie Feuer, aber keine Perspektive mehr. Und nachdem sie 3 Jahre gebraucht hat, das zu erkennen, will sie niemand anderen hier hinein ziehen.

Freitag, 25. September 2015

Achter Tag - Komm hoch und fang mich, Teil 5

Hier oben fällt mir auf, wie die Welt dort unten eigentlich aussieht. Es ist eine Welt unter dem Himmel, der blaue Planet wird er ja auch genannt. Wir sind hier auf den Wolken, Wasser, wie dort unten im Meer, doch wir stehen über der Welt, im Himmel. Es ist eigentlich eine ganz einfache Sache, wie schaffe ich es nur den ganzen zweiten Tag, den ich schon hier oben bin, diesen Gedanken nach zu hängen. Ich fühle mich so schlecht, dass ich heute meine Kleine so unbeachtet gelassen habe, ich kann vor Schuldgefühlen keine Ruhe findet, als der Abend kommt und das Ende des Tages zeigte.
Ich muss das morgen unbedingt anders machen.
"Hey, Guten Morgen. Aufstehen Engelchen !",
"Was'n jetzt los ?", ich habe sie wohl abrupt aus ihrem schlafähnlichen Zustand gerissen, naja was solls ?
"Fangen ?! Eine neue Runde fangen spielen.",
"Papa ? So motiviert ?"
"Komm wir spielen fangen, zeig mir mal von hier oben die Welt.", und da nimmt sie mich an der Hand und wir fliegen los. Einmal um die Welt. Kreuz und quer, hin und her, bis ich alles gesehen hatte, was sie mir zeigen will. Und sie nannte mir die Namen der Orte, die sie mir zeigte, also die Namen, die sie diesen Orten gegeben hatte. Und sie sagte mir auch wie die ganzen Bäume, Früchte und Kräuter überall bei ihr heißen. Sie jagte mich durch Wälder, in denen zwischen den großen Bäumen massenhaft "rote Dododrenblumen" wachsen, ich glaube die Bäume heißen bei ihr "Eicheln" und die Eicheln heißen "Eichelnfrüchte", und ich versuche sie in den Bergen und Tälern des Himalayas zu fangen, kurz bevor sie mich über die Steppen voll mit Grasbüscheln, ja jeder Busch oder dürre Baum hieß einfach nur "Grasbüschel", Afrikas verfolgt. Und als dann abends hinter den Anden das Licht versieg und der dritte Tag endet, kehren wir zurück auf die Wolken und lachen über das Spiel des heutigen Tages. So ein simples Spiel und so wenig Mitspieler, doch so ein großes Spielfeld. Das kann man nicht verstehen, das muss man selbst gespielt haben.
Auch der vierte Tag wird ähnlich. Nur hier bin ich der überraschend geweckte. Ich wurde so überraschend geweckt, dass ich doch glatt wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden bin. Apropos falscher Fuß, wie geht es dem Kater, meinem geliebten Katzenvieh ? Gibt es einen Katzenhimmel ? Meine Kleine weiß das auch nicht. Na der Tag hat ja wieder super angefangen. Wo ist mein Kaffee ? Achja richtig, Himmel. "Gibt es hier oben Kaffee ?",
"Die Mama hat immer gesagt, ich darf keinen Kaffee trinken, der wäre ungesund.",
"Er ist ja aber auch nicht für dich, sondern für mich."
"Achso. Nein.",
"Was nein ?",
"Nein, Kein Kaffe.", Mist, verdammt. Naja, dann halt so fangen spielen. Den ganzen Tag. Und wieder durch Wälder und über Berge und über Wiesen mit Kräutern und Wiesen ohne Kräuter. Bis wieder am Ende des Tages das Licht zum Spielen fehlt. Ein richtig schönes Schauspiel, wenn die Sonne vesinkt und die Sterne sich am Himmel zeigen. So habe ich weder Sonnenuntergang noch Sterne jemals beachtet oder besser gesagt bestaunt. Das Sternenlicht ist von oben, von den Wolken aus, wie Einschlafmusik, nur anders, aber das perfekte Bild um damit vor Augen sich zur Ruhe zu legen.
Ich habe es jetzt die letzten Tage geschafft die Schönheit der Welt auf eine Weise zu sehen, wie sie mir unbekannt war. Eine grüne Wiese passt nicht in einen Leberwurst- und Schnellimbissalltag. Wieso sind mir aber auf unseren Ausflügen nie die Tiere aufgefallen? Ich vermisse meinen Kater, aber nach 4 Tagen werde ich den wohl da unten auch nichtmehr sehen können. 
Sieh nicht hin, hatte ich mir gerade eben gesagt. Sieh einfach nicht hin. Am Morgen des fünften Tages stehe ich nun hier mit Tränen in den Augen und unfähig etwas zu sagen. Mein alter lieber Kater, so liegt er da, alle viere neben sich, nicht von sich weggestreckt, langsam verendet, verdurstet, ein schrecklicher Tod, vorallem aus den Augen des Tieres, zu merken wie man durstig wird, der Körper immer mehr nach Wasser schreit und auch der Schlaf den Durst nicht vergessen lässt, und immer zu sehen, dass die übliche Wasserstelle, die der Gott dieser Einzimmerwohnung, also ich, immer gefüllt hat, versiegt bleibt, und dann zu merken, dass der Gott fort ist, einen verlassen hat, und man langsam, langsamer als erwartet, sehen muss wie das eigene Leben sich diesem Gott anschließt, und einen ebenfalls verlässt, und man an Durst langsam im Schlaf verendet. Immerhin ist er eingeschlafen und sanft gestorben. Vielleicht war das für ihn nicht so schrecklich, vielleicht war ich für ihn kein Gott. Aber ihn dort liegen zu sehen, tot, lässt mich nichtnur an mir zweifeln. Ich bin jetzt den fünften Tag fort, ich habe nicht einen Gedanken an meinen Kater verschwendet. Muss ich mir etwa eingestehen, dass er mir egal war. Nein, das werde ich nicht tun, ich habe ihn nur vernachlässigt, ich hätte eh nichts für ihn tun können. So stehe ich hier und weine, ich hoffe es gibt einen Katzenhimmel. Mein armer Kater, ich bezweifel, dass Gott bei dem Anblick meines leblosen Körpers auch geweint hätte. Und nun stehe ich hier, an meinen eigenen Gedanken zweifelnden und mit von Tränen getrübten Augen auf meinen Kater herabblickend. Ich habe wohl genug an Tieren gesehen, ich muss kein lebendiges Getier im Wasser oder gefiederte Vögel und sonstiges Getier, das die Erde hervorbrachte, ein jedes nach seiner Art, mehr sehen. Ich bin fertig für heute, mein armer Kater. Und sie stand die ganze Zeit nur neben mir und hat mich mit großen Augen angeschaut, während ich weinte, ohne ein Wort zu sagen oder ungeduldig zu werden, sie hat nur ihren Vater weinen sehen.
Der sechste Tag bricht an, ich bin mehr froh die Sonne aufgehen zu sehen. Sie bringt heute besonders warmes Licht mit sich. 
"Hey Papa, heute ist so ein schöner Tag. Gehen wir an den Strand ? Ja ? Gehen wir an Strand ?", fragt sie mich noch während ich aufwache. Wie könnte ich bei ihrer euphorischen Art noch der Trauer von gestern nach hängen ? 
" Ja, natürlich gehen wir an den Strand". Und los gehts. Mittlerweile hab ich den Bogen echt raus, was das fliegen angeht. Wir lassen uns von den Wolken fallen und breiten die Flügel aus und segeln an dir Küste Kretas. Eine schöne Insel. Hier war ich häufig im Urlaub mit meiner Familie als ich noch ein Kind war. Wahnsinn wie sich das alles verändert hat.
"Und jetzt ? Schwimmen gehen oder Ball spielen mit den anderen ?",
"Schwimmen natürlich. Die Menschen sehen uns nicht, solange die Wolken nicht schlafen, wie sollen wir da Ball spielen ?"
Na gut, dann gehen wir halt schwimmen. schade eigentlich, ich hätte Lust gehabt ein paar Bälle zu werfen oder Beachvolleyball zu spielen. Aber wir toben in den Wellen und reiten auf ihnen, auch ohne Surfboard, wir haben Flügel, also Bitch please!, und wir werfen uns mit einem Kopfsprung voll hinein. Alles in allem ein schöner Tag. Wie damals im Urlaub, wo ich mich immer in die Wellen geworfen habe oder Sandburgen gebaut habe oder eben mit anderen Kindern in meinem Alter Ball gespielt habe. Es war zwar schön, doch waren wir halt nur zu zweit. Es wäre bestimmt schöner gewesen, hätten wir mit den anderen spielen können, besonders für die Kleine wäre es besser gewesen. Achja, die Menschen, nach dem Bilde Gottes geschaffen, die Menschen, die sich Kater als Haustiere halten, aber halt, nach einem Tag wie heute ist kein Platz für die Gedanken von gestern. Nach einem Tag wie heute brauch ich erstmal einen Tag Ruhe. 
Und als dem Abend die Nacht folgte um dann vom Morgen abgelöst zu werden, bricht auch schon mein siebter Tag im Himmel an. Ich glaube, heute mach ich frei. Einfach nur ausruhen, das hab ich mir verdient. Gott sei Dank, dass mir das noch in den Sinn kommt, zum Glück gibt es auch hier oben Kaffee, die Kleine hatte mich doch echt knallhart angelogen. Nichts könnte jetzt besser sein als ein guter Morgenkaffee und ein Leberwurstbrot, hach ich riech ja die Lebbeworscht so gern, ich könn mich nur von [...] meiner Lebberworscht ernährn. Und dazu ein paar kleine Gedankenspiele mit meiner Kleinen spielen, wie das Tiernamenspiel, man muss immer ein Tier sagen, dass als Anfangsbuchstaben den Endbuchstaben des vorherigen Tiers hat, wie zB "Ente", "Elefant", " Tiger", "Regenwurm", " Meerrettich " und da Meerrettich auch kein Instrument ist, hat sie gewonnen. Als wir dann fertig sind mit Frühstück und ich meinen, wie sie es nennt, "alte Menschen Mittagsschlaf" mache, geht sie weg mit anderen Engeln spielen. Ich mache es mir währenddessen einfach mal gemütlich. Die Flügel schön zur Seite weggefaltet, damit ich bequem auf dem Rücken liegen kann, ein wenig vor mich hin dösend. Gedanklich reflektiere ich die Woche, die ich im Himmel oder besser gesagt als Engel, verbracht habe und bleibe am fünften Tag hängen. Die Trauer packt mich wieder und bringt Selbstzweifel mit. Der Kater war mir nicht egal, ich war nur weg, und er ist gestorben und ich habe nicht an ihn gedacht, tagelang, bis er mir wieder in den Sinn kam.
Sie sagte Gott sei weg, Gott habe uns verlassen, und nach genauerem Überlegen, ich bin im Himmel, ohne Gott, und während ich lebte hat er auch nichts getan, nirgends. Vielleicht ist er nicht einfach nur weg und denkt nicht an uns, wohl eher sind wir ihm mittlerweile einfach egal. Vielleicht war Jesus nicht Gottes Sohn, weil Gott damals schon weg war, vielleicht war er nur ein Spinner. Auf jeden Fall, nach genauerem Überlegen, Gott ist tatsächlich weg, falls Gott jemals da war, vielleicht gibt es nichts Höheres, neben dem wir nur klein sind, und wenn es Gott tatsächlich gibt, und er einfach nur weg ist, dann sind wir neben ihm nur klein, völlig egal, unbedeutend, und nichtmal nach Tagen verschwendet er auch nur einen Gedanken an uns. 
Doch wenn es dieses Höheres nicht gibt, es nie einen Gott gab, dann sind wir nicht klein, dann sind wir einfach nur da, dann gibt es nichts neben dem wir klein sein könnten, dann sind wir aber deswegen nicht bedeutender, und ja, ich merke wie der Selbstzweifel aus mir spricht, so oder so sind wir unbedeutend, ich kann nur eines sagen : ich will ... . "Hey Papa!! Ich bin wieder da. Ausgeschlafen ?", 
" Hey Kleines! Na ? Spaß gehabt ?". Sie erzählte mir mit wem sie gespielt hat und was und wo und wie lange und wie gern sie mich dabei gehabt hätte und ich sage ihr, dass ich mich ausruhen musste und ich mich ausgeruht habe. Es wäre wohl sinnlos zu erklären, dass der siebte Tag der gesegnte Ruhetag ist. Aber ich sage ihr noch, dass ich jetzt ja fit genug bin um ab morgen wieder mitzuspielen.
Dann endet mit dem Abend der siebten Tag und während sie schläf, bin ich wieder von meinen Zweifeln geplagt. -
Und einen Anfang muss man wohl sterben, auch wenn der Spruch irgendwie anders geht, trotzdem gehe ich, begleitet von der aufgehenden Sonne, zu ihr hin, und obwohl sie so friedlich schläft und sie mein ein und alles ist, bestärkt mich das irgendwie in meinem Entschluss. Ich rüttel sie sanft an ihrer Schulter um sie zu wecken. Während sie aufwacht und noch während ihre Augen damit beschäftigt sind sich zu öffnen um sich von den ersten Sonnenstrahlen blenden zu lassen, sage ich ihr mit zitternder Stimme und einem versucht ausdruckslosen Gesicht : "Es tut mir Leid. Ich will kein Engel sein."

____
Ende

Samstag, 19. September 2015

Liebe ist blind

Ich denke, ich bin dumm, weil ich dir das hier schreibe. Aber mir ist egal, ob du älter bist. Mir ist es egal, denn nun bin ich durch diesen Tunnel gewandert und endete mit deiner Infektion. Ich fühle mich idiotisch und ansteckend. Doch ich werde da hingehen, wo der kalte Wind bläst, kann es kaum erwarten, dich dort zu sehen. 
Die Sonne ist schon verschwunden, aber ich habe trotzdem ein Licht. Komm einfach wie du bist, wie du warst, wie ich dich haben möchte, wie einen Freund, mehr als einen Freund. 
Ich werde deine offenen Wunden küssen, du bist mein Vitamin. Du kannst mich benutzen, vergewaltigen, mein Freund. Meine Seele ist billig und ich bin schon Wochen, Monate, Jahre in deiner herzförmigen Box gefangen. Mein eigenes Herz jedoch ist gebrochen, aber ich habe Kleber. Helfe mir, ihn zu inhalieren und es zu heilen. Ich weiß, dass es falsch ist, aber was soll ich tun? Ich mag es, ich werde nicht durchdrehen. Ich vermisse dich, ich werde nicht durchdrehen. 
Was zur Hölle versuche ich überhaupt zu sagen? Es ist jetzt Zeit, um es unklar zu stellen und Zeilen zu schreiben, die nicht einmal Sinn ergeben. Ich liebe dich, ich werde nicht durchdrehen. 
Wir müssen uns auch nicht fortpflanzen.Wir könnten uns ein Haus pflanzen. Wir könnten einen Baum bauen. Es ist mir ehal. Weniger ist mehr, Liebe ist blind. 

Wirkt vielleicht ein wenig durcheinander, ist es auch. Eine  meiner Deutschhausaufgaben,  lalala, mal sehen ob sie merkt, dass ich hier einfach reinschreibe,  die ich irgendwo rausgekramt habe. Ein Liebesbrief a lá Nirvana. 

Mittwoch, 9. September 2015

Der eierlegende Wollmilchweihnachtsmann

Es ist Mitte September und der Schokoweihnachtsmann im Supermarkt hat mich daran erinnert, dass es ja nurnoch knappe viereinhalb Monate sind, bis endlich wieder Schokoosterhasen die Regale füllen. Wie sehr freue ich mich schon auf die Zeit am Anfang des nächsten Jahres, wenn ich völlig durchfroren nach Hause komme und erstmal einen frühlingsfrischen Schokoosterhasen esse, denn schließlich ist es von Januar nurnoch ein Witz von ein paar Wochen bis endlich wieder Ostern ist. Und eine ähnliche Situation hat es zurzeit ja auch schon. Ich betrete, von sommerlichen 30°, total durchgeschwitzt und überhitzt den Einkaufsmarkt um mir ein wenig Süßkram zu kaufen und erfahre ein Gefühl verstanden zu werden. Bei der Hitze, die einen Ende August oder Anfang September noch quälen kann, ist kein Eis oder gekühltes Getränk kalt genug um einen ausreichend zu erfrischen. Gott sei Dank wird die Weihnachtsschokolade zu dieser Zeit schon verkauft und hilft einem auf mentaler Ebene die Hitze zu überleben, indem sie einen an das, im frostigen Winter kommende, Weihnachtsfest erinnert. Wozu so ein Schokoweihnachtsmann alles gut sein kann, im Sommer, wenn es noch ewig bis Weihnachten ist.
Genug von schlechter Ironie. Mal ehrlich, ohne Nachfrage gäbe es das Angebot des Schokoweihnachtsmanns nicht so früh... Aber wer zum F kauft Weihnachtsschokolade im Sommer, bei 30°, wenn es noch 4 Monate bis Weihnachten sind ?

Dienstag, 8. September 2015

Regentanz

Wieso steht er dort ? Es sieht aus als wäre er traurig, nur weint die Welt um ihn herum und nicht er selbst. Der Regen durchnässt seine Kleidung und einzelne Tropfen fallen an seiner Nasenspitze herab, die Kapuze schafft es schon lange nicht mehr die Haare trocken zu halten. Er ist durchnässt, bestimmt friert er und doch steht er dort wie eine Statue, den Witterungen ausgesetzt, ganz alleine auf der Straße, im Regen.
Er beobachtet sich selbst in der Pfütze, die sich langsam vor ihm gebildet hatte und ihm nun als Spiegel dient. Er beobachtet sich selbst, aus müden Augen heraus, die ihm, von dunklen Ringen betont, entgegenstarren. Die Tropfen laufen ihm über das Gesicht, nasse Bahnen hinter sich ziehend, und eine einzelne verlorene und nasse Haarsträhne klebt ihm auf der Stirn, in deren Falten sich Seen aus dem Regen bilden, Seen, die denen in seinen herabhängenden Mundwinkeln ähneln. Es ist genau das Bild, das ihm schon vor einer Stunde nicht gefallen hat und sich seitdem nicht mehr änderte. Es ist diese Person, die ihn so sehr anekelt, die ihm dort entgegenstarrt.
Das Bild wird zerrissen, als ein Regentropfen die Pfütze trifft und Wellen schlägt, es gibt nun kein Bild mehr, das ihm missfallen kann, nur die Wellen, die ein einzelner Regentropfen geschlagen hat und die sich immer weiter ausbreiten, den Rand des Spiegels erreichen und sich im Dreck der Straße verirren. Und so wie sich die Wellen verlaufen und die Hektik des Schlags verloren geht, so kehrt auch die Ruhe auf die Oberfläche der Pfütze zurück und ihm starrt wieder sein Spiegelbild entgegen. Die Seen, die in den Falten stehen, und die Tropfen, die nasse Bahnen hinter sich herziehen. Nur die Augen blicken ihn anders an. So kalt, so kalt, als wolle er die Pfütze zufrieren, in der Hoffnung sich nicht sehen zu müssen. Doch sonst haben sich die Augen nicht verändert, nur der, ihn verurteilende, Blick ist kälter geworden. Diese Kälte wird mit der von Verachtung erfüllten Häme in die Unkenntlichkeit verzerrt. Das Bild zeigt nichtmehr ihn, der sich dort selbst beobachtet, so durchnässt und einsam frierend im Regen.
Erneut wird das Bild zerstört, und der Platz der Verachtung seiner eigenen Person, die Entsetzen, über die Kälte in den Augen seinen Spiegelbilds, wich, wird nun von einem Gefühl der Erleichterung überschattet. Ein weiterer Tropfen traf auf die Oberfläche des Wassers und wieder breiten sich Wellen aus. Er beobachtet die Wellen ganz genau, wie und wohin sie sich ausbreiten, und obwohl sie von einem anderen Punkt ausgingen, verlaufen sie sich in den selben Gassen zwischen dem Dreck der Straße, bis sich die Wogen geglättet haben und die Pfütze wieder ruhig vor ihm steht. Und sein Blick verlässt die Gassen zwischen dem Dreck auf der Straße und sein Blick kehrt zu seinem Spiegelbild zurück. Ein Bild, das eine Stunde lang unverändert zu seinen Füßen lag und das ihm eine Stunde lang nicht gefallen hat und das sich nun alle paar Sekunden ändert. Die Kälte ist verschwunden und die dunklen Ringe unter den Augen strahlen nun nurnoch Müdigkeit und keine Verachtung mehr aus. Und diese Müdigkeit ist es, die ihm nun entgegenschlägt, die er selbst, dort im Regen stehend, gar nicht spürt, und die es ihm verwehrt von seinem eigenen Spiegelbild angeschaut zu werden. Wie friedlich sich das Bild dort in der Pfütze abzeichnet. Er beobachtet sich selbst und weiß, dass er nicht beobachtet wird. Sein Spiegelbild steht dort vor ihm in der Pfütze liegend mit geschlossenen Augen und ohne jegliche Spannung im Gesicht. Die Seen aus den Falten der Stirn laufen in Flüssen sein Gesicht hinab, auf Wegen, die sonst nur von Tränen genommen werden, und reißen die Seen aus den, nun nichtmehr herabhängenden, Mundwinkeln mit sich. Es ist ein Bild, das ihm nicht ganz missfällt, es zeigt diese Person in den Momenten, in denen er sich nicht vor ihr ekeln muss.
Obwohl ihm dieses Bild sogar gefallen könnte, schockt es ihn zutiefst. Er hat in wenigen Sekunden zu viel gesehen und zu viel gefühlt. Er sah, wie er sich selbst mit Kälte und Verachtung strafte und sah sich selbst in einem seiner harmlosesten Momente, er fühlte die Verachtung noch während ihn Entsetzen überkam und er spürte ihr Echo als er sich erleichtert anschauen konnte. Es ist diese Überflutung an Reizen, an Gefühlen, die er nicht gewohnt war. Eine Stunde stand er im Regen, durchnässt, sah sein Spiegelbild und spürte die Verachtung. Er spürte sie eine ganze Stunde lang, konnte sich daran gewöhnen und seinen Frieden mit dem Gefühl der Verachtung machen. Bis Entsetzen und Erleichterung kamen und den Wiederhall der Verachtung mit sich trugen. Der Frieden ist nur eine Illusion und sein schlafendes Spiegelbild war irreal. Das ist zu viel für ihn. Er ist durchnässt, er friert und seine Emotionen laufen Amok. Nun weint nicht nur die Welt um ihn herum, nun weint er mit ihr. Und die Tränen folgen den Wegen, die im Spiegel den Flüssen als Pfad dienten, und es tropft nun nichtmehr der Regen von seinem Kinn und seiner Nase, nun tropfen Tränen von dort. Er beobachtet nicht sein Abbild im Wasser, er schaut sich nicht den Dreck auf der Straße an. Seine Augen folgen der einen Träne, die am meisten des Schmerzes seiner inneren Zerissenheit in sich trägt. Und diese Träne weicht ab von den Wegen, folgt nicht dem knöcheren Pfad zum Abgrund hinter der Nasenspitze und folgt nicht dem Strom zum Kinn. Sie bahnt sich ihren Weg bis an die Klippe der Lippe, die so blau und matt schon seit Tagen kein Lächeln mehr vollbrachten, und stürzt sich von dort in die Tiefe. Es scheint fast, als könne er den sterbenden Aufschrei der Erleichterung aus der fallenden Träne hören, und als die Träne auf die Wasseroberfläche trifft und wie die Regentropfen zuvor das Spiegelbild in der Pfütze zerreißt, spürt er, dass die Verachtung ihre Vormacht zurückgewinnt, ihn übermannt und, kurz nachdem die friedliche Darstellung dieser Person in den Wellen ertrank, auch eben jenes Bild aus der Erinnerung verdrängt.
Seit über einer Stunde steht er im Regen, unbewegt, durchnässt und frierend, mit einer Pfütze vor seinen Füßen und glich einer Statue, bis er anfing zu weinen. Seine Tränen vereinen sich mit dem Regen um ihn herum und sind Zeuge dessen, was er in der letzten Stunde durchlebte. Der Regen wird stärker und in der Pfütze wird sich nun kein Spiegelbild mehr zeigen können, zerbrochen ist die Oberfläche und Wellen folgen Wellen folgen Wellen. Es ist unmöglich etwas anderes als Wasser und Dreck in der Pfütze zu erkennen und doch sieht er sein Abbild ganz genau. Ein Abbild, das ihn kurz zum Lächeln bringt. Er lächelt, weil er jetzt in der Pfütze einen Spiegel gefunden hat, der ihm nicht zeigt wie er aussieht, sondern wie er ist. Die blauen matten Lippen tragen ein Lächeln und der Regen versteckt die Trauer der Tränen, die über diese Lippen laufen, Trauer, weil das Lächeln nicht die Erfüllung des Wunschtraums von Freude bezeugt, sondern nur stumpfe Einsicht. Weinend und lächelnd schaut er hinab in den Spiegel. Er sieht dieses Abbild, das ehrlich ist, das ihm deswegen sogar gefällt. Ein Abbild von einer Person, die ihn so sehr anekelt, einer Person, deren Innerstes dem Chaos, der sich gegenseitig brechenden Wellen, gleicht und die sich im Dreck auf der Straße wiedererkennt.

Montag, 7. September 2015

Ein Gedanke zu viel

Seine Schritte führten ihn durch die Menschenmengen auf den Straßen. Er schien einfach ein Teil zu sein. Ein unbeachteter Teil der Mengen, seinen eigenen Gedanken nachhängend, Student. In einer Studentenstadt. Nichts ungewöhnliches.
Doch wenn der Rest es nur wüsste. Wenn er wüsste, dass die Sorgenfalten auf der blässlichen Stirn nicht von dem Druck auf der Uni oder Beziehungstress rührten. Womöglich würden sie ihn noch mehr verachten als er sich selbst.
Vor seinem inneren Auge führte er sich die Blicke vor, die sie ihm zuwerfen würden.  Voller Ekel und Hass. Kein Verständnis oder Mitleid würde darin zu finden sein. Warum auch? Er selbst konnte es nicht nachvollziehen, kannte sich selbst nicht mehr. Warum ausgerechnet er? Konnte er nicht einfach sein Studentendasein normal weiterführen, wie jeder andere auch? Warum musste er das Monster sein, die Gefahr, die tickende Zeitbombe?
Fast wie eine Antwort erklang das Kinderlachen zu seiner Rechten. Erstmals hob er den Blick, welcher sofort auf den kleinen, gut besuchten Spielplatz fiel. Ein nahezu sehnsüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, während sein Blick dem Mädchen folgte, das auf der Schaukel saß. Auf und ab, auf und ab. Wieder stieg das bekannte und doch so fremde Gefühl in ihm auf. Tiefe Zuneigung, Verlangen, Erregung. Er blieb stehen und hasste sich sofort wieder dafür, als ihm eine hübsche, junge Frau mit Kinderwagen zulächelte.
Diese Freundlichkeit wurde nie von ihm erwiedert. Er verließ seinen Standort fluchtartig, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden. Er wollte nicht in Versuchung kommen, niemals, sich nicht noch mehr hassen müssen, als es ohnehin schon der Fall war.
Die Flucht vor sich selbst würde endlos sein, kräftezehrend. Seine Schritte wurden immer schneller,  seine Füße fanden wie von selbst den Weg zu seiner Wohnung, dem einzigen Fluchtort, der ihm jetzt noch blieb.
Erst das Klimpern seiner eigenen Schlüssel, die er aus der Hosentasche zog, brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Er starrte die Glastür zum Treppenflur einige Sekunden an, bevor er sie aufschloss.
Normalerweise hätte er den Aufzug genommen, aber er wusste, dass er die Stille nicht ertragen konnte, die Spiegel, in denen er sich dort sehen würde. Jetzt waren es seine Schritte, auf die er sich zu konzentrieren versuchte, die durch den Flur hallten. Seine Gedanken schweiften dennoch zum Spielplatz, zu dem Kinderlachen, an der lächelnden Frau vorbei zu dem rothaarigen Mädchen in ihrem Kinderwagen, die versunken in einem Tagtraum schien, während sie an dem ausgefransten Ohr ihres Teddys knabberte. So naiv, so unschuldig. Er lachte unkontrolliert auf und legte eine zitternde Hand auf die Türklinke, nachdem er seine Wohnung aufgeschlossen hatte. Reingehen. Ruhe. Unerträgliche Ruhe. Er zog nicht einmal Schuhe und Jacke aus, ging bloß quer durch den Raum in sein Schlafzimmer, zur Stereo-Anlage. Musik würde die Ruhe und seine Gedanken übertönen.
Doch auch die Musik ließ ihn im Stich. Nicht nach fünf Minuten scherte sie ihm Frieden, nicht nach zehn und auch nicht nach einer halben Stunde. Und selbst als er eingeschlafen war, ließen seine Qualen nicht nach. Träume, zu schrecklich und verwirrend, um sie beschreiben zu können. Schweißgebadet und schwer atmend erwachte er. Der Mond und die Straßenlaternen warfen spärliches, kaltes Licht in sein kahles Zimmer. Ganz langsam richtete er sich auf, versuchte das Traum-Echo des Babyschreiens aus seinem schmerzenden Kopf zu verbannen. Schuhe ausziehen. Seine Bewegungen waren wie mechanisch, trotz seinem unkontrollierten Zittern. In den grauen Augen war nun ein Flackern zu sehen, das sich schon lange nicht mehr gezeigt hatte. Hoffnung. Jetzt stand für ihn fest, wie er es beenden wollte. Es würde besser so sein. Für alle. Für ihn, seine Familie, seine Freunde, seine Kollegen. Und für die Kinder. Er würde etwas für die Gesellschaft tun, da war er sich sicher. Die Gesellschaft, in die er nie mehr einen Fuß setzen konnte, aus Scham und Angst. Seine letzten Schritte führten in sein Badezimmer. Langsam und bedächtig.
Er schloss die Tür hinter sich. 

Vier Tage später wurde der 26-Jährige Student Simon Eckert tot in seiner Badewanne gefunden. Niemand wusste, warum. Einzig seine Mitstudenten und Lehrer sagten aus, er sei schon seit längerem nicht mehr bei sich gewesen, seine Leistungen hätten nachgelassen und bestätigten damit den Verdacht auf einen Selbstmord.

Dienstag, 1. September 2015

Bereit zu gehen

Er will nur weg von hier. Weit, weit weg. Am liebsten fliegen, weg fliegen, einfach abheben und fliegen. Egal wo hin, vielleicht hinauf, hinauf zum Schloss, oder zu den Wasserfällen am Ende der Welt, und diese hinab, ein Sturzflug ins Ungewisse, nicht wissend was er dort finden wird, oder einfach nur über das offene Meer, und dort Kreise drehend den Leviathan beobachten, wie er in den Tiefen des Ozeans die Welt umschlingt, oder vielleicht zieht es ihn auch einfach in die Weite der Welt, in die Einsamkeit der Steppen oder dunklen Wäldern auf der Suche nach der blauen Blume, dem alten Ziel. 
Wenn er losfliegt, weiß er nicht wo er landen wird oder ob er landen wird. Vielleicht wird er mit den Schwalben nach Süden fliegen und im Winter mit ihnen zurückkehren.
Würde man ihn fragen, dann wüsste er keine Antwort. Außer, dass er weg von hier will. Er
ist gelangweilt von seinem Leben und spürt den Drang die Welt zu sehen und wie der Eifer Neugier die Gewohnheit verdrängt. Weit, weit weg. Immer sagt er, es gäbe so viel zu sehen und er habe zu wenig gesehen, um zu gehen. 
Er habe sehr viel gesprochen  und viel gehört, zugehört habe er weniger, und er habe viel gegessen, kenne viele Geschmäcker, habe viel gerochen und viel geraucht, zudem habe er viel gefühlt, sowohl mit den Händen als auch mit dem Herzen. Immer sagt er, alle seine Sinne wären satt, alle seine Sinne würden ihm sagen er sei bereit zu gehen, außer einer. Einer seiner Sinne ist nicht satt. Immer sagt er, er habe zu wenig gesehen, und dieser Sinn würde ihm nicht raten zu gehen, er würde ihm raten, weg zu gehen. Und er will nur weg von hier. Weit, weit weg. Am liebsten fliegen.

Samstag, 29. August 2015

Erster Tag - Komm hoch und fang mich, Teil 4

"Ich weiß nicht, ich fühle mich so anders. Und gleichzeitig doch genau wie immer, nur leichter. Und frei, ungebunden."
"Aha?"
"Du verstehst nicht was ich meine ?"
"Nein, ich fühle mich einfach nur prächtig, anmutig, wie eine Feder im Wind."
"Weißt du was ich nicht verstehe ? Wieso bin ich ein Engel ?"
"Was meinst du ?"
"Ich hab gesündigt, ich habe gemordet. Ich sollte nicht im Himmel sein."
"Sagt wer ?"
"Na, Gott ?"
"Paah. Was die Kirche erzählt ist Unsinn. Es gibt keinen Gott. Nichtmehr, er ist tot. Die Engel entscheiden wer in den Himmel darf und wer nicht. Ich wollte dich hier, Papa."
"Ja, danke. Also hab ich die ganze Zeit die Kirchensteuer unnötigerweise bezahlt ?"
"Ja, aber ist doch egal, du hast mir versprochen wir spielen."
"Das habe ich. Los geht's !"
Kein Gott, das muss man erstmal verkraften. Gott ist tot ? Die Engel entscheiden wer in den Himmel darf ? Und was passiert mit denen, die im Himmel niemand will ? Schreckliche Schwiegermütter zum Beispiel oder nervige Geschwister, wo kommen die hin ?
Sie will also spielen ? Nun gut, dann spielen wir. Wozu bin ich schließlich hoch gekommen ? Fangen spielen. Sie huscht von einer Wolke zur nächsten, fliegt über einige andere Wolken hinweg, und das mit einer Anmut, wow, sie ist echt ein Tänzerin.
"Fang mich, fang mich". "Augen auf ! Ich komme", nun, diese Ansage war etwas übereilig gesagt. Laufen klappt noch, aber auf einer Wolke laufen ist wie am Strand zu sprinten, und wie zur Hölle fliegt man ? Nein, nicht zur Hölle, falsche Richtung, aber wie fliegt man ? Mal sehen, über die rechte Schulter schau ich schnell mal rüber und ja, da sind eindeutig Flügel, sie sehen aus wie Flügel und sie sind an mir dran. Perfekt. Und wie benutze ich das ? Vielleicht gehen sie ja mit, wenn ich mit den Armen flattere.
Nun steh ich da, auf einem Fleck, die Füße in den Wolken versenkt, die Flügel regungslos am Rücken hängend, aber mit den Armen wedelnd wie ein Irrer. Nichts, da tut sich nichts.
Immerhin habe ich die Kleine zum Lachen gebracht, auch wenn sie nicht mit mir lacht, da ich nicht lache. Hey, die Kleine lacht mich tatsächlich aus. Woher soll ich denn bitte wissen wie fliegen funktioniert ?
"Komm mal bitte her." Ich hoffe der strenge ich-bin-dein-Vater-Tongfall funktioniert. "Wie kann ich fliegen ?"
"Ach Papa, das ist doch ganz leicht. Komm ich zeigs dir." Sie zieht vor mir einen Kreis in die Wolken, wie in Sand.
"Du streckst deinen rechten Fuß rein...", ich strecke meinen rechten Fuß rein, "... du nimmst deinen rechten Fuß raus...", ich nehme meinen rechten Fuß raus, "...du streckst deinen rechten Fuß rein und schüttelst ihn...", ich strecke meinen rechten Fuß rein und schüttel ihn,"...nun machst du den HokeyPokey und drehst dich im Kreis, und so funktioniert das.",
"Moment mal, das ist ein Kinderlied.", na super, jetzt kann sich die Kleine vor Lachen nichtmehr halten. Freches Kind. Wie konnte ich nur auf so etwas hereinfallen ?
"Na warte, das zahl ich dir zurück.", sag ich ihr mit einem Lachen im Gesicht, sie lacht nur noch mehr.
Nachdem wir uns beide ausgelacht haben, weiß ich zwar wieder wie der HokeyPokey funktioniert, nur hilft mir das wenig, ich weiß immernoch nicht wie man fliegt.
"Jetzt bleib mal ernst. Wie fliegt man ?"
"Du noch gar nicht. Schau wie schlaff und unbewegt deine Flügel an dir runter hängen. Du hast sie, ja, aber du kannst sie nicht spüren, hab ich recht ?"
"Das stimmt"
"Spring!"
"Was ?"
"Du sollst springen."
Also spring ich. Und wieder. Und noch ein Sprung. Das ist ordentlich anstrengend, schließlich versinke ich jedes mal wieder in der Wolke, aber ich könnte das den ganzen Tag machen.
"Und jetzt ?"
"Ja Papa, das ist doch klar. Du sollst den Wind spüren. Spürst du ihn ?"
"Ääähm... Nein", Enttäuschung macht sich in mir breit, nur sie steht da und grinst.
"Dann dreh dich im Kreis."
Na dann mal los. "So ?", ich dreh mich richtig schnell. Ich glaube, wäre ich ein Mensch, wäre mir jetzt schon schlecht. Aber mir wird nicht schlecht, mir geht es gut, und ich drehe mich weiter und weiter. Die Fliehkräfte ziehen an mir, meine Arme heben sich und werden nach außen gezogen und auch meine Flügel heben sich und ich spüre den Wind, nicht in den Flügeln, aber an den Fingern, vorne in den Fingerspitzen, und ich drehe mich immer schneller und spüre den Wind an der ganzen Hand, den Armen, an meinem ganzen Körper und schließlich auch in den Flügeln. Es kribbelt plötzlich dort, wo die Flügel an meinem Rücken ansetzen und auch das Kribbeln breitet sich aus, ich kann nicht sagen wohin genau, aber nun kribbelt es bis in die Flügelspitzen und ich kann nun endlich meine Flügel spüren.
"Ich spüre sie. Ich kann sie spüren !",
"Den Wind ?",
"Nein, meine Flügel !", und ich höre mich auf zu drehen und grinse sie an und sie grinst zurück, aber mein Grinsen ist deutlich breiter.
"Dann versuche sie zu bewegen",
Ich konzentriere mich ganz auf das Kribbeln, versuche anhand des Gefühls ihr Gewicht und ihre Form und ihre Beweglichkeit zu erahnen. Wenn ein Mönch davon redet man müsse sich selbst fühlen, dann meint er wahrscheinlich genau das.
Ich merke wie mich die Kraft der Flügelschläge nach oben drückt, wenige Zentimeter nur, und dann fall ich wieder runter. Es ist echt schwer die Flügel zu im gleichen Rhythmus zu koordinieren, aber es fühlt sich an wie in die Hände Klatschen, das schaff ich schon noch.
"Gut gemacht Papa. Die ersten Flügelschläge",
"Ja, aber ich bin trotzdem wieder gefallen",
"Es ist leichter wenn du beim fliegen am Anfang im Takt in die Hände klatscht."
Dann probier ich es halt mal. Sollte mich irgendjemand beobachtet haben, dann hab ich mich schon mit dem rumhüpfen und der Pirouette genug blamiert, dann kann ich jetzt auch noch klatschen. 
Dieses Mal flieg ich höher als nur ein paar Zentimeter, viel höher, und vorallem länger, und im Gleichtakt. Und dann änder ich den Rhythmus und schlag langsamer mit den Flügeln. Doch ich fall nicht. Ich will mich selbst nicht überragend optimistisch hören, aber ich glaube, ich hab den Bogen raus, ich kann fliegen.
"Komm Papa, fang mich"
Und die Kleine fliegt los, anmutig, wahrscheinlich anmutiger als ich es bisher kann, und schnell, wahrscheinlich zu schnell für mich. Wie soll ich sie nur fangen ? 
Nunja, irgendetwas muss ich ja tun, also los, ihr hinterher. Die Flugfähigkeit ist wohl in den letzten Sekunden wieder eingerostet, ich komme nur schleppend voran, langsame, schlecht koordinierte Flügelanderes. Auf der Stelle hoch fliegen ist leicht und sich mit langsameren Schlägen wieder abzusenken auch. Aber eine Vorwärtsbewegung ist was anderes und dann muss ich auch noch schnell fliegen. 
Und sie tanzt um die Wolken und auf den Wolken herum. Ich hingegen stolper eher durch die Luft wie ein Besoffener, der in eine Pfütze fällt.
Ein stundenlanges Spiel neigt sich dem Ende zu als es auch im Himmel Abend wurde. 
Das Licht verlor sich in der Finsternis und der Tag wurde von der Nacht abgelöst, wie es seit dem ersten Tag so war.
Sie wollte eh nichtmehr spielen, ich wurde zum Ende hin immer besser und schneller. Anscheinend kann sie einfach nicht verlieren.