Sonntag, 6. Dezember 2015

Bleicher Herbst

Vor ihm liegt nur der Wald. Ein Sandweg zu seinen Füßen, der in eben diesen Wald aus hohen Bäumen, mit Stämmen umhüllt von dunkler Rinde und mit einer feuerroten Blätterkrone, führt. Es ist Herbst, und während Aaron vor dem Eingang des Waldes still und unbewegt schon eine gefühlte Ewigkeit steht, werden einzelne Blätter vom Wind fortgetragen. Ein Spektakel wie farbenfroher Regen, dem man stundenlang zuschauen könnte. Und vor diesem Wald stehend, von fallenden Blättern umgeben und auf einer Stelle verharrend, fragt er sich, was er hier eigentlich sehen soll ? Denn all das sieht er nicht.


 



 
 
 
 Nie hat er ein Blatt in herbstlichen Farben gesehen, oder ein Blatt in sommerlichem Grün, oder gar eine Knospe. Aaron hat immer nur die Anderen sagen hören, wie schön das aussieht und dass man so etwas einfach mal gesehen haben muss.
Also wieso steht er hier ?
Aaron steht nun schon eine gefühlte Ewigkeit hier. Er spürt den Wind, der ihm ins Gesicht und durch die Haare weht, und natürlich merkt er es auch, wenn eines der vielen bunten Blätter gegen ihn geweht wird. Nur weiß er dann nicht, welche Farbe ihn gerade getroffen hat.
Ob grün, gelb, rot oder ein verdorrtes Braun. Aber ist das überhaupt wichtig ? Er weiß, dass es ein Blatt war, das ihn getroffen hat, denn das kann er fühlen, nur die Farbe sieht er nicht.Da er noch nie diese Farben gesehen hat, vermisst er sie auch nicht. 



 
In schlaflosen Nächten, wenn ihn die Langeweile und seine Gedanken wach halten, hat er schon oft über so etwas nachgedacht. Hätte er einst ein Augenlicht besessen, hätte er also schonmal diese Farben gesehen, auch wenn er im Laufe der Zeit vergessen hätte, wie sie aussehen, dann, so ist er sich sicher, würde er sie jetzt vermissen. Aber einen Blinden interessieren Farben nicht, egal wie schön sie sein sollen.
Ein weiteres Blatt wid gegen ihn geweht als der Wind zu nimmt, es schlägt ihm ins Gesicht. Aaron löst sich aus seiner Starre, hat doch eh keinen Sinn weiter dort zu stehen, wo er nichts sehen kann, und folgt dem Sandweg in den Wald hinein. Kaum ist er an den ersten Bäumen vorbei spürt er schon wie hier der Wind nur viel schwächer durchkommt. Oder wie er es nennen würde, er sieht, dass der Wind hier im Wald schwächer ist. Er sieht auch die vielen Pflanzen, die schon auf den ersten Metern den Wegrand säumen. Nun er sieht sie nicht wirklich, aber es ist seine Auffassung von Sehen, er nimmt sie wahr, und wo andere sie mit den Augen wahrnehmen, da nimmt er sie einfach wahr, ist doch egal wie, also Sehen. Er sieht auch den See, der im Wald in relativer Nähe liegt, denn er stinkt ganz schön. Aaron macht sich auf zu diesem See, weit kann es ja nicht sein. Solange er den Waldwegen und seiner Wahrnehmung folgt, wird er ihn schon finden. Er spürt, wie der Sand unter seinen Schritten einsackt und hört das Knirschen, und mit den Händen immer am Wegrand das Gebüsch streifend, weiß er auch wann er eine Kreuzung gefunden hat. So kommt er schon nach kurzer Dauer am See an, wo er sich erstmal auf eine Bank setzt, die er direkt davor mit seinem Schienbein gesehen hat, und sich sein Schienbein reibt. In der Senke des Sees ist auch fast kein Wind zu spüren, muss er wohl aus der Richtung kommen, wo in Aarons Rücken die Bäume dicht beieinander stehen.
Aaron tastet vorsichtig auf dem Boden und findet nichts außer Sand und ein paar kleine Wurzeln, der Sträucher hinter der Bank, bis er einen Stein findet. Keinen runden, einen eckigen, kantigen Stein, mit spitzen Ecken und scharfen Kanten. Im Sitzen hebt er den Stein hinter den Kopf und spant seine Muskeln, dann atmet er einmal tief aus und wieder teif ein und wirft dann den Stein in einem hohen Bogen.
Aaron hört das Plätschern, als der Stein die Wasseroberfläche trifft und hört Flügelschläge, wo aufgeschreckte Vögel hektisch davon fliegen. Er sieht die Kreise, die sich von dem Stein weg langsam über das Wasser bewegen.

1 Kommentar:

  1. Was du machst ist echt unglaublich, wenn man das liest fühlt man sich richtig heinversetzt und obwohl ich den See nicht vor meinen Augen hatte, wusste ich wie es dort aussieht und konnte mir die Gegend vorstellen. Du erzeugst mit deinen Worten solche Gefühle, als wäre man selbst dort und würde den Sand fühlen und den Wind spüren. Sehr gut gelungen!

    AntwortenLöschen