Donnerstag, 4. September 2014

Nachtnebel

Wie schon in den letzten Tagen laufe ich auch wieder diesen Abend ziellos und einsam durch die Straßen dieser Stadt. Obwohl ich fast schon mein ganzes Leben lang hier wohne, kommt mir alles so neu und unbekannt vor. Straßen, die ich schon gefühlt millionenmal lang gelaufen bin, erkenne ich nicht wieder und so ist es auch kein Wunder, dass ich mich ständig verlaufe. Immer wenn ich diesen magischen Moment der Ernüchterung, nichtmehr weiter zu kommen, verspüre, gebe ich auf und setzte mich einfach unter die nächstbeste Straßenlaterne, nehm mir meinen Notizblock, den ich immer dabei habe, zur Hand und fang an einfach irgendwas zu malen. Manche meiner Bilder zeigen was so manchmal durch meinen Kopf geht, andere Bilder zeigen, was mir zu Liedern einfällt, und dann gibt es noch Einige, die einfach nur Gekritzel sind. Natürlich könnte man aus dem Gekritzel irgendeine Scheiße rausinterpretieren, aber man ist hier ja im echten Leben und nicht im Kunsunterricht in der Schule.
Heute mach ich es anders. Heute setzte ich mich nicht hin und male. Nein! Heute laufe ich einfach weiter. Diesen magischen Moment der Ernüchterung hatte ich schon knapp 100x, aber ich hab versucht ihn zu ignorieren, was bisher ganz gut funktioniert. Das Dumme an der Sache ist nur, dass ich nicht weiß wo ich bin. Ich weiß nichtmal, ob ich noch in der richtigen Stadt bin.
An der nächsten Kreuzung biege ich nach rechts ab in eine Allee, es fehlt die Motivation weiter gerade aus zu laufen. Die Bäume, die diese Straße verschönern, sind, wie unschwer an den, auf dem Boden liegenden, Bucheckern zu erkennen ist, Buchen und zwischen den Buchen säumen kleiner Büsche und Sträucher den Weg. Wenn ich schon die Gelegenheit habe, hebe ich mir auch gleich mal ein paar Bucheckern auf, praktisch als Wegproviant.
Es ist so ungewöhnlich ruhig. Zudem wird es von Schritt zu Schritt dunkler, da scheinbar alle Laternen in dieser Allee kaputt sind. Es fäll nurnoch ein wenig Licht von der Kreuzung und etwas spärliches Mondlicht ein. Nichts destotrotz laufe ich weiter. Wieso sollte ich auch nicht weiter laufen ? Ich wäre nicht nachts unterwegs, wenn ich Angst vor der Dunkelheit hätte, außerdem hock ich eh die meiste Zeit in meiner dunklen Kammer rum. Man kann also sagen, ich bin es gewohnt.
So langsam wird es auch immer kälter, es ist immernoch ziemlich warm, aber man merkt den Unterschied, und zudem wird auch die Luft immer feuchter. Nachtnebel zieht auf. Erst ist es nur ganz leicht neblig. Man merkt und sieht ihn kaum. Doch je weiter ich laufe, umso dichter werden die Nebelschwaden. Ich spüre sie erst an meinen Füßen und Beinen und dann wie er sich vorsichtig an meinem Körper hochzieht, bis er mich komplett umhüllt und ich kaum in der Lage bin 3 Meter weit zu sehen. Ich bleibe einen kurzen Moment stehen um mich zu orientieren. Mir kommt die Idee, anstatt in der Straßenmitte, einfach am Rand zu laufen, um so die Bäume als Wegpunkte nutzen zu können. Als ich mich wieder aus meiner Starre löse und den ersten Schritt machen will, wird mir auf einmal schwarz vor Augen und ich bin gezwungen nochmal kurz stehen zu bleiben. Plötzlich fährt mir ein Schlag durch den Körper und Kopfschmerzen setzen ein.
Alles gut. Die Schwärze vor den Augen schwindet, doch was war das für ein Schlag ? Egal.
Ich bin nun also am Straßenrand um mich weiter orientierne zu können, aber etwas stimmt nicht. Waren die Bäume in dieser Allee nicht alle bisher grün und gesund ? Der Baum, vor dem ich hier stehe, ist allerdings das Gegenteil davon, tot und verdorrt. Die Sträucher neben dem Baum sehen auch nicht besser aus. Ein Stück weiter die Straße rauf sind auch schon alle Pflanzen verdorrt und auch der Weg hinter mir wird nur von toten Ästen überdacht. Da tote Bäume und Sträucher keinen Schutz mehr bieten, spüre ich nun auch den Wind. Ich habe das Gefühl, als ob der Wind, seit ich ihn das letzte Mal in einer anderen Straße spürte, stärker geworden ist. Tatsächlich, er weht nun deutlich stärker. Und kalt ist er. Obwohl es bisher eine einigermaßen warme Spätsommernacht war, fange ich nun an zu frieren und zu zittern.
Komisch, ich hätte schwören können, dass es auf dem Hinweg noch nicht so aussah.
Und als ob Nachtnebel und verdorrte Bäume nachts nicht schon gruselig genug wären, höre ich auch noch Schritte. War ich nicht eben noch alleine auf der Straße ? Wer ist das ?
Nun seh ich sie. Passend zu den Schritten sehe ich sich bewegende Gestalten, die zwischen den Bäumen und Sträuchern und auf der Straße umherhuschen. Nunja, ich sehe nur ganz schleierhaft die Silhouetten der Gestalten. Wenigstens bleiben sie auf Abstand.
Da es aber nichts bringt stehen zu bleiben, setzte ich meinen Weg gegen den Wind, der immer stärker in mein Gesicht peitscht, fort. Erfreulicherweiße bewegen sich die Gestalten mit, sodass sie auch weiterhin auf Abstand bleiben. Nur eines scheint nicht ganz mitgekommen zu sein und muss jetzt den anderen Gestalten hinterherrennne. Ich konnte noch einen klaren Blick auf die rennende Gestalt werfen und es fiel mir schwer zu glauben, was ich sah. Die Gestalten um mich rum sind Skelette. Zumindest dieses eine, das ich sah. Ich konnte das knochige Geräusch seiner Schritte hören und in die leeren Augenhöhlen schauen, aus denen schwach glimmend ein fahles, kaltes blaues Licht fiel. 
Panik überkommt mich. Träume ich ? Das kann doch nicht sein ! So langsam wird mir das zu viel.
Da ich für einen kurzen Moment abgelenkt war, übersah ich das Schlagloch im Boden, stolperte und legte mich der Länge nach auf den Boden. Ich schlug mir das Kinn auf steinigen Boden auf, allerdings war der Boden hier nicht rau, sondern eher glatt poliert. Das passt ja mal so gar nicht zur Situation. Ich schaute also wieder auf und versuchte aufzustehen, als ich erkannte, worauf ich gefallen bin, und nun auch verstand warum der Stein glatt war. Es war ein Grab. Was soll die scheiße ? Erst die Allee an sich, dann die Skelette, dann ein Grab ? Ich muss zugeben, so surreal das alles wirkt, irgendwie passt es zusammen, auch wenn es absolut keinen Sinn ergibt. 
Ich schaute mir den Grabstein mal genauer an und nachdem was ich diese Nacht schon erlebt hatte, konnte mich auch die Inschrift nichtmehr überraschen. Auf dem Stein stand :

16.1.1631 - 12.1.1652

Mein Todestag ist nur eine Illusion.
Mein Mörder wird den Tag verfluchen, an dem er mir mit bloßer Hand das Herz herrausriss.
Meine Stunde wird kommen. Ich komme wieder.

Ein weiteres Mal frage ich mich "Was soll das ?". Ist das die Version des 17.Jhd. von einem schlechtem Horrorfilm ? Oder einfach nur ein schlechter Scherz ? Oder ein schlechter Aberglaube ?
Da ich immernoch von dem Grab abgelenkt war, merkte ich nicht, dass sich die Skelette, wie Schaulustige, um mich herum sammelten. Ich hörte auch nicht die knochigen Schritte, die von hinten immer näher kommen. Ich hörte allerdings wie mich jemand flüsternd "Hast du den Tag verflucht ?" fragte. Das war allerdings das Letzte, was ich hörte. Zu groß war der Schock über die knochige Hand, die vorne aus meiner Brust herausragte und mein schlagendes Herz in der Hand hielt. Ganz langsam bohrte das Skelett hinter mir seine spitzen Finger in mein Herz und als das Blut schwallend heraus quoll, wurde mir ein weiteres Mal schwarz vor Augen.
Stromschläge fuhren durch meinen Körper. Immer und immer wieder. Ein weiterer Stromschlag zerrt mich dann zurück. Ich schlage die Augen auf und starre direkt in das Gesicht einen Notarztes. Es ist immernoch nachts, aber er lächelt. Ich schaue nach rechts und nach links. Anscheinend liege ich immernoch in der Mitte der Straße, aber wenigstens sind die Bäume wieder grün und auch die Sträucher sind nichtmehr tot. 
Nur der Mond schaut schwach glimmend mit seinem fahlen, kalten blauen Licht auf mich herab.

2 Kommentare:

  1. WOW! - Dem ist nichts hinzuzufügen

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  2. Kopfkino deluxe - danke dafür. Die Szene mit dem Herzen hast du sehr schön beschrieben.

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