Freitag, 25. September 2015

Achter Tag - Komm hoch und fang mich, Teil 5

Hier oben fällt mir auf, wie die Welt dort unten eigentlich aussieht. Es ist eine Welt unter dem Himmel, der blaue Planet wird er ja auch genannt. Wir sind hier auf den Wolken, Wasser, wie dort unten im Meer, doch wir stehen über der Welt, im Himmel. Es ist eigentlich eine ganz einfache Sache, wie schaffe ich es nur den ganzen zweiten Tag, den ich schon hier oben bin, diesen Gedanken nach zu hängen. Ich fühle mich so schlecht, dass ich heute meine Kleine so unbeachtet gelassen habe, ich kann vor Schuldgefühlen keine Ruhe findet, als der Abend kommt und das Ende des Tages zeigte.
Ich muss das morgen unbedingt anders machen.
"Hey, Guten Morgen. Aufstehen Engelchen !",
"Was'n jetzt los ?", ich habe sie wohl abrupt aus ihrem schlafähnlichen Zustand gerissen, naja was solls ?
"Fangen ?! Eine neue Runde fangen spielen.",
"Papa ? So motiviert ?"
"Komm wir spielen fangen, zeig mir mal von hier oben die Welt.", und da nimmt sie mich an der Hand und wir fliegen los. Einmal um die Welt. Kreuz und quer, hin und her, bis ich alles gesehen hatte, was sie mir zeigen will. Und sie nannte mir die Namen der Orte, die sie mir zeigte, also die Namen, die sie diesen Orten gegeben hatte. Und sie sagte mir auch wie die ganzen Bäume, Früchte und Kräuter überall bei ihr heißen. Sie jagte mich durch Wälder, in denen zwischen den großen Bäumen massenhaft "rote Dododrenblumen" wachsen, ich glaube die Bäume heißen bei ihr "Eicheln" und die Eicheln heißen "Eichelnfrüchte", und ich versuche sie in den Bergen und Tälern des Himalayas zu fangen, kurz bevor sie mich über die Steppen voll mit Grasbüscheln, ja jeder Busch oder dürre Baum hieß einfach nur "Grasbüschel", Afrikas verfolgt. Und als dann abends hinter den Anden das Licht versieg und der dritte Tag endet, kehren wir zurück auf die Wolken und lachen über das Spiel des heutigen Tages. So ein simples Spiel und so wenig Mitspieler, doch so ein großes Spielfeld. Das kann man nicht verstehen, das muss man selbst gespielt haben.
Auch der vierte Tag wird ähnlich. Nur hier bin ich der überraschend geweckte. Ich wurde so überraschend geweckt, dass ich doch glatt wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden bin. Apropos falscher Fuß, wie geht es dem Kater, meinem geliebten Katzenvieh ? Gibt es einen Katzenhimmel ? Meine Kleine weiß das auch nicht. Na der Tag hat ja wieder super angefangen. Wo ist mein Kaffee ? Achja richtig, Himmel. "Gibt es hier oben Kaffee ?",
"Die Mama hat immer gesagt, ich darf keinen Kaffee trinken, der wäre ungesund.",
"Er ist ja aber auch nicht für dich, sondern für mich."
"Achso. Nein.",
"Was nein ?",
"Nein, Kein Kaffe.", Mist, verdammt. Naja, dann halt so fangen spielen. Den ganzen Tag. Und wieder durch Wälder und über Berge und über Wiesen mit Kräutern und Wiesen ohne Kräuter. Bis wieder am Ende des Tages das Licht zum Spielen fehlt. Ein richtig schönes Schauspiel, wenn die Sonne vesinkt und die Sterne sich am Himmel zeigen. So habe ich weder Sonnenuntergang noch Sterne jemals beachtet oder besser gesagt bestaunt. Das Sternenlicht ist von oben, von den Wolken aus, wie Einschlafmusik, nur anders, aber das perfekte Bild um damit vor Augen sich zur Ruhe zu legen.
Ich habe es jetzt die letzten Tage geschafft die Schönheit der Welt auf eine Weise zu sehen, wie sie mir unbekannt war. Eine grüne Wiese passt nicht in einen Leberwurst- und Schnellimbissalltag. Wieso sind mir aber auf unseren Ausflügen nie die Tiere aufgefallen? Ich vermisse meinen Kater, aber nach 4 Tagen werde ich den wohl da unten auch nichtmehr sehen können. 
Sieh nicht hin, hatte ich mir gerade eben gesagt. Sieh einfach nicht hin. Am Morgen des fünften Tages stehe ich nun hier mit Tränen in den Augen und unfähig etwas zu sagen. Mein alter lieber Kater, so liegt er da, alle viere neben sich, nicht von sich weggestreckt, langsam verendet, verdurstet, ein schrecklicher Tod, vorallem aus den Augen des Tieres, zu merken wie man durstig wird, der Körper immer mehr nach Wasser schreit und auch der Schlaf den Durst nicht vergessen lässt, und immer zu sehen, dass die übliche Wasserstelle, die der Gott dieser Einzimmerwohnung, also ich, immer gefüllt hat, versiegt bleibt, und dann zu merken, dass der Gott fort ist, einen verlassen hat, und man langsam, langsamer als erwartet, sehen muss wie das eigene Leben sich diesem Gott anschließt, und einen ebenfalls verlässt, und man an Durst langsam im Schlaf verendet. Immerhin ist er eingeschlafen und sanft gestorben. Vielleicht war das für ihn nicht so schrecklich, vielleicht war ich für ihn kein Gott. Aber ihn dort liegen zu sehen, tot, lässt mich nichtnur an mir zweifeln. Ich bin jetzt den fünften Tag fort, ich habe nicht einen Gedanken an meinen Kater verschwendet. Muss ich mir etwa eingestehen, dass er mir egal war. Nein, das werde ich nicht tun, ich habe ihn nur vernachlässigt, ich hätte eh nichts für ihn tun können. So stehe ich hier und weine, ich hoffe es gibt einen Katzenhimmel. Mein armer Kater, ich bezweifel, dass Gott bei dem Anblick meines leblosen Körpers auch geweint hätte. Und nun stehe ich hier, an meinen eigenen Gedanken zweifelnden und mit von Tränen getrübten Augen auf meinen Kater herabblickend. Ich habe wohl genug an Tieren gesehen, ich muss kein lebendiges Getier im Wasser oder gefiederte Vögel und sonstiges Getier, das die Erde hervorbrachte, ein jedes nach seiner Art, mehr sehen. Ich bin fertig für heute, mein armer Kater. Und sie stand die ganze Zeit nur neben mir und hat mich mit großen Augen angeschaut, während ich weinte, ohne ein Wort zu sagen oder ungeduldig zu werden, sie hat nur ihren Vater weinen sehen.
Der sechste Tag bricht an, ich bin mehr froh die Sonne aufgehen zu sehen. Sie bringt heute besonders warmes Licht mit sich. 
"Hey Papa, heute ist so ein schöner Tag. Gehen wir an den Strand ? Ja ? Gehen wir an Strand ?", fragt sie mich noch während ich aufwache. Wie könnte ich bei ihrer euphorischen Art noch der Trauer von gestern nach hängen ? 
" Ja, natürlich gehen wir an den Strand". Und los gehts. Mittlerweile hab ich den Bogen echt raus, was das fliegen angeht. Wir lassen uns von den Wolken fallen und breiten die Flügel aus und segeln an dir Küste Kretas. Eine schöne Insel. Hier war ich häufig im Urlaub mit meiner Familie als ich noch ein Kind war. Wahnsinn wie sich das alles verändert hat.
"Und jetzt ? Schwimmen gehen oder Ball spielen mit den anderen ?",
"Schwimmen natürlich. Die Menschen sehen uns nicht, solange die Wolken nicht schlafen, wie sollen wir da Ball spielen ?"
Na gut, dann gehen wir halt schwimmen. schade eigentlich, ich hätte Lust gehabt ein paar Bälle zu werfen oder Beachvolleyball zu spielen. Aber wir toben in den Wellen und reiten auf ihnen, auch ohne Surfboard, wir haben Flügel, also Bitch please!, und wir werfen uns mit einem Kopfsprung voll hinein. Alles in allem ein schöner Tag. Wie damals im Urlaub, wo ich mich immer in die Wellen geworfen habe oder Sandburgen gebaut habe oder eben mit anderen Kindern in meinem Alter Ball gespielt habe. Es war zwar schön, doch waren wir halt nur zu zweit. Es wäre bestimmt schöner gewesen, hätten wir mit den anderen spielen können, besonders für die Kleine wäre es besser gewesen. Achja, die Menschen, nach dem Bilde Gottes geschaffen, die Menschen, die sich Kater als Haustiere halten, aber halt, nach einem Tag wie heute ist kein Platz für die Gedanken von gestern. Nach einem Tag wie heute brauch ich erstmal einen Tag Ruhe. 
Und als dem Abend die Nacht folgte um dann vom Morgen abgelöst zu werden, bricht auch schon mein siebter Tag im Himmel an. Ich glaube, heute mach ich frei. Einfach nur ausruhen, das hab ich mir verdient. Gott sei Dank, dass mir das noch in den Sinn kommt, zum Glück gibt es auch hier oben Kaffee, die Kleine hatte mich doch echt knallhart angelogen. Nichts könnte jetzt besser sein als ein guter Morgenkaffee und ein Leberwurstbrot, hach ich riech ja die Lebbeworscht so gern, ich könn mich nur von [...] meiner Lebberworscht ernährn. Und dazu ein paar kleine Gedankenspiele mit meiner Kleinen spielen, wie das Tiernamenspiel, man muss immer ein Tier sagen, dass als Anfangsbuchstaben den Endbuchstaben des vorherigen Tiers hat, wie zB "Ente", "Elefant", " Tiger", "Regenwurm", " Meerrettich " und da Meerrettich auch kein Instrument ist, hat sie gewonnen. Als wir dann fertig sind mit Frühstück und ich meinen, wie sie es nennt, "alte Menschen Mittagsschlaf" mache, geht sie weg mit anderen Engeln spielen. Ich mache es mir währenddessen einfach mal gemütlich. Die Flügel schön zur Seite weggefaltet, damit ich bequem auf dem Rücken liegen kann, ein wenig vor mich hin dösend. Gedanklich reflektiere ich die Woche, die ich im Himmel oder besser gesagt als Engel, verbracht habe und bleibe am fünften Tag hängen. Die Trauer packt mich wieder und bringt Selbstzweifel mit. Der Kater war mir nicht egal, ich war nur weg, und er ist gestorben und ich habe nicht an ihn gedacht, tagelang, bis er mir wieder in den Sinn kam.
Sie sagte Gott sei weg, Gott habe uns verlassen, und nach genauerem Überlegen, ich bin im Himmel, ohne Gott, und während ich lebte hat er auch nichts getan, nirgends. Vielleicht ist er nicht einfach nur weg und denkt nicht an uns, wohl eher sind wir ihm mittlerweile einfach egal. Vielleicht war Jesus nicht Gottes Sohn, weil Gott damals schon weg war, vielleicht war er nur ein Spinner. Auf jeden Fall, nach genauerem Überlegen, Gott ist tatsächlich weg, falls Gott jemals da war, vielleicht gibt es nichts Höheres, neben dem wir nur klein sind, und wenn es Gott tatsächlich gibt, und er einfach nur weg ist, dann sind wir neben ihm nur klein, völlig egal, unbedeutend, und nichtmal nach Tagen verschwendet er auch nur einen Gedanken an uns. 
Doch wenn es dieses Höheres nicht gibt, es nie einen Gott gab, dann sind wir nicht klein, dann sind wir einfach nur da, dann gibt es nichts neben dem wir klein sein könnten, dann sind wir aber deswegen nicht bedeutender, und ja, ich merke wie der Selbstzweifel aus mir spricht, so oder so sind wir unbedeutend, ich kann nur eines sagen : ich will ... . "Hey Papa!! Ich bin wieder da. Ausgeschlafen ?", 
" Hey Kleines! Na ? Spaß gehabt ?". Sie erzählte mir mit wem sie gespielt hat und was und wo und wie lange und wie gern sie mich dabei gehabt hätte und ich sage ihr, dass ich mich ausruhen musste und ich mich ausgeruht habe. Es wäre wohl sinnlos zu erklären, dass der siebte Tag der gesegnte Ruhetag ist. Aber ich sage ihr noch, dass ich jetzt ja fit genug bin um ab morgen wieder mitzuspielen.
Dann endet mit dem Abend der siebten Tag und während sie schläf, bin ich wieder von meinen Zweifeln geplagt. -
Und einen Anfang muss man wohl sterben, auch wenn der Spruch irgendwie anders geht, trotzdem gehe ich, begleitet von der aufgehenden Sonne, zu ihr hin, und obwohl sie so friedlich schläft und sie mein ein und alles ist, bestärkt mich das irgendwie in meinem Entschluss. Ich rüttel sie sanft an ihrer Schulter um sie zu wecken. Während sie aufwacht und noch während ihre Augen damit beschäftigt sind sich zu öffnen um sich von den ersten Sonnenstrahlen blenden zu lassen, sage ich ihr mit zitternder Stimme und einem versucht ausdruckslosen Gesicht : "Es tut mir Leid. Ich will kein Engel sein."

____
Ende

1 Kommentar:

  1. Insgesamt eine sehr schöne Geschichte und mir hat das Ende gut gefallen, da es nochmal einen "Spannungsmoment" aufgebaut hat. Ich muss sagen, dass sich die Geschichte ein wenig zieht, also dass es insgesamt und aber auch dieser Teil mir persönlich etwas zu lang war, ist vielleicht auch nur meine Meinung. Was mir besonders gefällt ist, dass die Geschichte lauter Fragen aufwirft, die sich jeder bestimmt einmal in seinem Leben stellt. Wie ist der Himmel? Wer ist Gott oder gibt es ihn gar nicht? Gibt es einen Himmel für Tiere? Wie ist es tot zu sein?...usw. Durch diese ganzen Fragen die man sich dabei stellt, ist man quasi gezwungen weiter zu lesen und mehr zu erfahren. Es ist einfach interessant, wenn man eine andere Vorstellung davon hat, aber es hier ganz anders vor Augen geführt bekommt oder man hat die gleiche Betrachtungsweise und fühlt sich darin bestätigt. So oder so wird man dazu geleitet weiter zu lesen und mehr zu erfahren. Dazu kommen dann die Gefühle zwischen Tochter und Vater, der Kater der einsam gestorben ist, der Vater der trauert, ... Das alles macht es noch etwas runder und noch schöner. Um mich nochmal kurz zu fassen: Mir hat die ganze Geschichte sehr gut gefallen und du hast meine Bewunderung dafür, dass du sowas schreiben kannst!
    ( So viel zum Thema lang :D )

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