Mittwoch, 30. September 2015

Willkommen in der Sackgasse

Vor sich sieht sie Feuer. Ein paar Stücke Holz, aus irgendwelchen Möbeln herausgebrochen, die mit lodernden Flammen zu leuchtender Glut herabbrennen. Die Hitze schlägt ihr ins Gesicht und treibt ihr Schweiß auf die Stirn. Jenna sitzt vor der Feuerstelle in der Mitte des Wohnzimmers, denn im Rest des Hauses ist es kalt, zu kalt. Ende November plagt das Wetter die Bewohner der Kleinstadt schon mit Minusgraden. In der Küche ist das Fenster eingeschlagen und in mindestens 3 anderen Zimmern des Hauses sind die Fenster undicht. Die anderen Zimmer erfüllen eigentlich keine Funktion mehr. Das Bett steht direkt vor dem schwarzen Loch im Boden, das als Feuerstelle dient. Jenna hatte das Feuer immer in der Küche gemacht, doch nachdem dort eingebrochen wurde, weswegen die Scheibe zerbrochen ist, hat sie es sich anders überlegt. Außer einem Feuer und vielen, vielen zerlumpten Decken hat sie nichts, um sich vor der Kälte zu schützen. Das undichte Haus heizt sich auch nicht auf, da aus allen Ecken der Wind hinein zieht. Er schleicht sich durch die selben undichten Stellen, durch die jeden Morgen auch der Nebel seinen Weg hinein findet. Jenna ist fast schon gezwungen ihre Abende und Nächte zusammengekauert vor dem Feuer zu verbringen. Krank wird sie so trotzdem schnell. Vorallem zu dieser Jahreszeit, vorallem wenn nicht nur die Kälte bis in die Knochen zieht, sondern Jenna auch noch von Nebel und Regen gequält wird. Aber krank sein ist sie gewohnt. Und auf der Straße heißt es "was dich nicht umbringt, macht dich stark".
Dort verbringt sie ihre Tage, auf der Straße. In diesem heruntergekommenen Stadtteil, in dem sich früher Industrieanlagen aneinander gereiht haben. Fabrikgebäude, die die Punkszene zu Wohnhäusern und Treffs umgebaut hat, locken weiterhin alle Waisen oder perspektivlosen Jugendliche der Stadt an. So kam auch Jenna hierher. Im Streit mit ihren Eltern konnte sie es sich nicht vorstellen, weiterhin im Haus ihrer Kindheit zu wohnen. Ihre Eltern sagten dieser Alex von nebenan sei kein guter Umgang für sie. Doch als 14-jährige war sie leicht zu locken mit dem Versprechen von jugendlicher Freiheit ohne Kontrolle der elterlichen Autorität. Und so folgte sie ihm, in den Stadtteil, der " von Jugendlichen regiert wird", in eine Hochburg der Armut, Verzweiflung und jugendlicher Drogenkultur, in ein Labyrinth aus Ruinen, zerfallenen Straßen und Sackgassen. Jenna lebt hier seit 3 Jahren, zwischen menschlichen Wracks und absoluten Fehlbeispielen, und betet, dass sie niemals der schlechte Umgang eines anderen Kindes wird. Sie erfährt nichts von der versprochenen "jugendlichen Freiheit", sondern nur den Zwang um das nackte Überleben zu kämpfen. Wer um Essen betteln muss hat keine Zeit für Schule, wer aus Pfützen trinkt oder sich mit Alkohol vor dem Verdursten rettet hat keine Zeit sich wieder aus diesem Leben rauszuwinden, und so lebt sie im Dreck und mit ständiger Kankheit.
Hinter sich hat Jenna ein Leben, aus dem sie etwas hätte machen können. Vor sich sieht sie Feuer, aber keine Perspektive mehr. Und nachdem sie 3 Jahre gebraucht hat, das zu erkennen, will sie niemand anderen hier hinein ziehen.

1 Kommentar:

  1. Eine meiner Favoriten bisher. Nach meinem Gefühl etwas simpler gehalten und trotzdem sehr tolle Beschreibungen. Gefällt!

    AntwortenLöschen