Donnerstag, 27. August 2015

Er liegt unter meinem Bett - Teil 1

Der Wecker klingelte lauter als gewöhnlich. Sie rieb sich über ihr Gesicht, fuhr mit den schmalen Fingern über die dunklen Schatten unter den Augen. War es schon halb sechs? Mit einem leisen, resignierten Stöhnen nahm sie die Hände aus ihrem müden Gesicht und öffnete die Augen nur einen Spalt breit, aber weit genug, um die digitale Anzeige ihres Weckers zu erkennen. Drei Uhr und dreiundzwanzig Minuten. Ärgerlich runzelte sie die Stirn und drückte sich mit ihrem Ellbogen ein wenig aufrecht. Hatte sie den Wecker gestern etwa falsch gestellt oder sollte sie sich doch langsam einen neuen zulegen? Einschlafen konnte sie wahrscheinlich vergessen, stellte sie fest, während sie den Wecker ausschaltete, dessen Piepsen bereits unerträglich geworden war. Ihre Hand suchte nach dem Lichtschalter. Ein leises Klicken und gleich darauf leuchtete die Nachttischlampe flackernd auf. Der Schein erhellte ihr kleines Zimmer spärlich. Die Poster an den Wänden, die Klamotten, die sich während den letzten Tagen auf dem Boden gesammelt hatten, ihr PC, die Stereoanlage, der Kleiderschrank. Alles noch da, alles an seinem Platz. Sie schnappte sich den Pulli von ihrer Bettdecke und zog diesen über ihren nackten Oberkörper, bevor sie aufstand und verschlafen durch das Kleiderlabyrinth stolperte. Kaffee. Dann konnte sie duschen, das schaffte sie morgens nie und ihre Haare hatten es tatsächlich dringend nötig. Vielleicht sogar rausgehen und joggen? Doch diesen Gedanken verwarf sie schnell. Als ob sie das jemals durchziehen würde. Außerdem war es kalt. Es schneite, wie sie mit einem Blick aus dem Fenster im Flur feststellte. Doch jetzt war es ein Geräusch, dem sie ihre Aufmerksamkeit mehr oder weniger freiwillig widmete. Ein unangenehmes, quietschendes. Sie sah sich um und ihr Blick blieb an der Badtür hängen, aus deren Spalt ein Lichtstrahl über den blauen Teppich im Flur bis an die gegenüberliegende Wand fiel. Sie holte Luft, um etwas zu sagen, schloss ihren trockenen Mund jedoch gleich wieder. Schlechte Idee, das wusste sie doch aus den diversen Horrorfilmen, die sie gesehen hatte. Nicht von vorn herein auf sich aufmerksam machen. Ganz langsam, darauf achtend, dass keine Diele knarzte, schlich sie sich voran. Ihr Herzschlag schien lauter als ihre Schritte zu sein, was ihre Nervosität bloß steigerte. Ihre Hand legte sich auf die Klinke und diesmal zögerte sie nur einen winzigen Moment, bevor sie fortfuhr und die Tür öffnete. "Eva? Was machst du da?", war ihre erste Frage, als sie ihre kleine Schwester entdeckte, die beide Hände an den Spiegel gelegt hatte und mit den Fingernägeln darüberfuhr. Das Mädchen hielt sofort inne, drehte sich jedoch nicht um. Das Gefühl der Erleichterung, was sie vor ein paar Sekunden noch empfunden hatte, schwand wieder.

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