Mittwoch, 19. August 2015

Meine Liebe ist die Sehnsucht.

"Wie viele Jahre, 
wie viele Tage, 
ich hab dich nie gesehen.
So viele Momente 
habe ich verpasst, 
was ist nur geschehen ?

Wie viele Schritte,
wie viele Blicke,
du liefst mir davon.
Nun stehst du vor mir,
schaust du mir in die Augen
oder träume ich schon ?

[...]", singt er leise vor sich her. Was meint er damit ?
Was hat er nur getan, dass sie ihm all die Zeit aus dem Weg ging, ihn mied oder einfach nicht zuließ, dass sie bei ihm war. Hat er sie verletzt ? Hat er sie betrogen ? Hat er sie verraten ? Hat er ..? -Nein !
Aber was ist es dann ? Warum läuft er ihr nach wie ein hungernder Hund mit gebrochenen Beinen ? Warum läuft sie vor ihm davon, als sei sie eine hochnäsige Dame und er nur ein Bube im Straßendreck.
Vielleicht liegt es einfach an seiner Person und ihrer Art. 
Wer ist er ? - Man kann ihn nicht wirklich eine auffällige Person nennen. Vielleicht Anfang oder Mitte Zwanzig, nicht besonders groß, ca 1,80m, schwächlicher Körperbau, sehr schmal, gebeugte Haltung, ein allgemein sehr bleiches Äußeres, besonders im Gesicht, im Kontrast dazu stehen die enorm dunklen Augenringe unter seinen eingefallenen, blutunterlaufenen leuchtend grünen Augen, die mit einem leeren Blick die Welt beobachten, dunkelbraune Haare (zersaust, ihm hängen frech ein Paar Strähnen ins Gesicht), gepiercte Ohren und dazu trägt er hauptsächlich schwarze oder graue Kleidung, am liebsten T-Shirts und Röhrenjeans (wobei er im Winter zusätzlich Kapuzenjacken und im Sommer statt der Jeans kurze Jogginghosen trägt). Abgerundet wird seine äußere Erscheinung noch von einigen Narben an den Armen (dort besonders auf der Innenseite und in der Nähe der Armbeuge). Nun, er ist nicht besonders auffallend, eher wie ein Halbschatten in der Umgebung anderer Menschen, nunja, er verlässt seine Wohnung eigentlich eh nie, und ganz besonders ist er nicht auffallend schön. Die Augenringe, die Blässe und die Narben kratzen doch sehr an der Ästhetik. 
Sein Äußeres passt also dazu, dass er ihr wie ein hungernder Hund mit gebrochenen Beinen nachläuft. Hat sie ihm vielleicht die Beine gebrochen ? Waum läuft er ihr nach, wenn sie das getan hat ? 
Ist sie der Grund für seine Augenringe ? Ist sie der Grund für seine Blässe ? Und ist sie der Grund für die Narben ? - Ja ! Ja ! Ja, Ja !
Wegen ihr kann er nachts nicht schlafen, wie ein Verrückter sitzt er zitternd auf dem Bett, seine Gedanken schweifen immer wieder zu ihr ab, er fühlt sich gleichsam einsam und beobachtet, alleine und bedroht, hilflos. Er schlägt sich Nacht um Nacht um die Ohren, er ist müde und erschöpft, doch ohne sie findet er keine Ruhe.
Wegen ihr ist er schwach und krank. Er hatte bestimmt mal Ruhe, nichtnur im Sinne von Schlaf, sondern auch innere Ruhe. Doch diese Ruhe schwand und wurde ersetzt von Panik und einem Übelkeitsgefühl. Er hat einfach nicht die Kraft und noch weniger den Willen um gesund zu sein, sine Haut spiegelt das nur wider.
Und ja, sie ist der Grund für seine Narben. Tiefe Schnitte und Bäche von Blut sind alltäglich, wenn sie nicht da ist. Fiese Stiche neben den heilenden Schnitten sind alltäglich, wenn sie da ist. Was ist nur los, dass es immer mit Narben enden muss ? 
Aber warum läuft er ihr nach, wenn sie ihm das alles angetan ? Er kann nicht anders. Sie einmal zu lieben, heißt sie immer zu lieben. Hier von Sucht zu sprechen ist nichtnur zutreffend, sondern einfach ohne Alternative. Es ist eine kranke Sucht, dass er ohne sie einfach nicht kann, und nicht will.
Wenn er sich die Nadel tief in die Haut sticht, die Droge in sich hinein befreit und sie in sich fühlt, dann ist er glücklich, auch er fühlt sich befreit. Wo sind die Panik, die Übelkeit und Müdigkeit nur hin ? In diesem Höhegefühl kommt es ihm vor, als hätte er nur schlecht geträumt, als hätte er sich das alles nur eingebildet. Paah, er und Müdigkeit und Panik ? Das passt ja gar nicht. Er zittert ? Nein, das kann nicht sein, ihm ist nicht kalt, ihm ist warm, ihm ist heiß von innen heraus, und er ist auch nicht schwach und gebrechlich. Nein, er zittert nicht.
Es kann nur ein schlechter Traum gewesen sein. Sie ist bei ihm, sie war nie fort, das hat er nur geträumt, ein Albtraum. Und im Vergleich zu dem Albtraum ist das gerade mit ihr der Traum. Also der Traum schlechthin, der gute Traum, so wie es sein soll. So wie es ist. So wie es immer war, alles andere waren nur Einbildungen und Albträume. So wie es immer sein wird.
Doch er irrt sich gewaltig, er sieht es nur nicht. Der hungernde Hund mit den gebrochenen Beinen kann auch am Kopf gegrault werden und er fühlt sich gut, aber irgendwann wird er nichtmehr gegrault und der Hunger ist danach nur noch größer und die Beine sind immernoch gebrochen.
Er ist immernoch bleich wie ein Toter, er ist immernoch müde und er ist immernoch schwach und auch die Narben sind noch da.
Und nach ein paar Stunden, ja, nach ein paar Stunden ist sie wieder weg. Er und Müdigkeit und Panik ? - Vielleicht passt das ja doch. Nun ist sie weg, er ist noch müder als zuvor, und wieder bricht die innere Unruhe aus, er ist hilflos, wo bleibt nur der Schlaf ? Nun, er wird nicht kommen. So schöpft er keine neue Kraft, so wird er nicht gesund, auch weiterhin bleibt seine Haut ein Spiegel dessen. Und nun, sie ist weg, und der Stich wird eine Narbe bilden und Schnitte werden folgen und das Blut wird seinen Arm hinab fließen, bis in seine Handfläche. Er wird es spüren, sein eigenes Blut, und den Schmerz, sein warmes Blut, und das obwohl ihm doch so kalt ist. Wieder hockt er auf dem Bett, er zittert und er schwankt. Sein Zittern behindert ihn, zudem hat er keine Kraft, das Gleichgewicht leidet darunter. Bevor er fällt stützt er sich lieber an der Wand ab, mit seiner Hand, die mit dem Blut drinne, seinem Blut. Wie schon zuvor hinterlässt er einen Handabdruck an der Wand, der Abdruck mit frischen Blut gliedert sich in das traurig-schöne Kunstwerk von Handabdrücken, mit bereits getrocknetem Blut, an der Wand ein. 

"The drugs, begin to peak
A smile of joy arrives in me", singt er leise vor sich her und eine einzelne Träne löst sich aus seinem Auge. Er lächelt. 


"But sedation changes to panic and nausea
And breath starts to shorten
And heartbeats pound softer
", er singt immer leiser, seine Stimme wird immer schwächer. eine kurze Verschnaufpause und er atmet tief ein. 

Er reißt sich zusammen, eine zweite und eine dritte Träne lösen sich aus seinen Augen, und mit aller aufzubringender Kraft schreit er :
"You won't try to save me!
You just want to hurt me and leave me desperate
"


Er kippt. Seit langem liegt er nun das erste mal wieder in seinem Bett, anstatt zusammengekauert in einem Eck des Bettgestells zu sitzen. Zittern tut er immernoch, ein stiller Fluss an Tränen verlässt seine Augen und fließt über das Gesicht. Dort, wo sein Arm liegt, durchnässt er das Bett mit Blut und dort, wo sein Gesicht liegt, durchnässt er es mit Tränen. Und doch lächelt er, nicht in sich hinein, nein, denn seine Augen sind starr auf sein Kunstwerk an der Wand gerichtet. Vielleicht lächelt er zum Abschied ? Vielleicht belächelt er seine Hinterlassenschaft.
Sein Atem wird flacher, die Atemzüge verkürzen sich und sein Körper erschlafft.
Sein Herz schlägt langsamer, sein Herz wird schwächer und die Herzschläge sanfter. Sein Arm hört auf zu bluten. Und trotzdem lächelt er weiterhin. Er lächelt in dem Moment, in dem ihn seine restliche Kraft verlässt. Die Müdigkeit holt ihn zu sich, endlich, endlich kommt der Schlaf, und auch seine Panik wird das nicht ändern. Seine Panik ? Welche Panik ? Da ist keine Panik mehr, er fühlt sich nicht hilflos, nein, er hat Ruhe. In seinen letzten Augenblicken hat er nicht einmal die Kraft seine Droge zu vermissen. Der hungernde Hund mit den gebrochenen Beinen hat den Hungertod akzeptiert und sich auf die Seite gelegt um ein letztes Mal einzuschlafen.
Ein letzter schwacher Atemzug kommt über seine Lippen, ein letztes Mal ausatmen, und auch das Herz gibt langsam seinen Rythmus schwacher Schläge auf.
Am Ende trocknet nurnoch das Blut seines jüngsten Handabdrucks und sein Kunstwerk ist traurig-schön anzusehen und, was noch viel wichtiger ist, vollendet. 




Inspiration und Teile des Textes stammen von "My Heroine" von Silverstein.
Titel stammt  aus "Meine Liebe" von Callejon.

3 Kommentare:

  1. You taught my heart a sense I never knew I had :)
    Ich bin einfach nur sprachlos, also wirklich sprachlos. Ich finde gerade keine Worte. Aber es ist richtig gut geworden und ich war total gefesselt. Respekt!

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  2. Traurig, verzweifelnd und schön zugleich :)

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  3. Auf eine traurige und herzzerreißende Art wirklich wunderschön :$

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